Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
mit filigranenen Blumen beschwerten Brautkranz dar:
„Wir bringen der Brut die Hochzytskron,
Hat luter Blumen und keini Dorn.“
Das Estherlein aber stellte ein Paar ziervoller Schuhe vors Bett, und seine Stimme tönte um ein Bemerkbares weniger feierlich als die der andern, da es sein Verslein herauswirbelte:
„Wir bringen der Brut die Hochzytsschueh,
Drin lauf sie sälig dem Liebsten zue!“
Dann faßten sich alle bei den Händen, und lustig klang es im ungleichen Vierklang der Stimmen:
„Was hören wir dussen wohl vor dem Tor?
Ein feiner Hochzyter, und der steht davor.
Stand uf, gib dein ledig Bettli frei,
Morndes und so bist du nümmen allei!“
Das Enneli, das all die Zeit mit glücklichem, halbverschämtem und halb neugierigem Gesicht dagesessen, gab nun jedem der Mädchen ein bereitgehaltenes Zuckerplätzlein und einen herzhaften Kuß, worauf diese lachend die Treppe hinunterstoben.
Dann trat die Pfarrerin, ein paar Freudentränen auf dem gesundheitsroten Gesicht, ans Bett der Tochter, Anna aber verließ leise die Kammer.
Sie ging eine Treppe tiefer nach dem Zimmer, wo die Mutter und Elisabeth, die mit ihr zusammen schon gestern hier eingetroffen, genächtigt hatten.
Als Anna eintrat, standen die Frauen bereits festlich gewandet am Fenster und hielten erwartungsvolle Ausschau. Erstaunt blickte Anna die beiden an: wie gut ihnen diese Festtagsfreude stand. Die Mutter in ihrem langen, reichgewirkten Kleid vornehm und adlig trotz ihrer zarten Gestalt; sie hatte einen schönen, seltenen Glanz in den Augen, und Anna fuhr es plötzlich und schmerzlich durch den Kopf: Freude, wann sie mehr Freude gehabt hätte und wann der Vater minder arbeitsstreng gewesen und von minder ernsthafter Zeiteinteilung, vielleicht hätte sie öfter die glänzenden Augen.
Sie trat auf die Mutter zu und küßte ihr voll Zärtlichkeit die Hand. Dann begrüßte sie Lisabeth. Diese trug ein einfaches blaues Seidenkleid und ein ebensolches, mit Silber und Perlen fein besticktes Häubchen auf dem weichen Haar. Kleid und Häubchen hatten die Farbe ihrer Augen, die dadurch noch größer und tiefer erschienen als sonst, und die zarten bläulichen Schatten auf Stirne und Hals, die Annas feines Malerauge oft bewundert hatte, schienen in der Nachbarschaft dieses feuchten Blau noch deutlicher und gingen mit leisem Hauch in die wärmer geröteten Wangen über. Wie lieblich sie aussah unter dieser kleinen, ein wenig aufgeregten Freude — so mochte ihre heilige Namenspatronin Ausgesehen haben, als das holdeste Rosenwunder an ihr geschah — und Anna dachte mit wehmütigem Schmerz, wie sehr sich nun der arme Johannes freuen würde an diesem Anblick. Lisabeth aber, als ob sie der Schwester Gedanken erraten hätte, lächelte: „Er hat die blaue Farb immer so gern gehabt an mir, gefall’ ich ihm wohl so?“
Und Anna nickte freundlich: „Wohl, wohl mußt du gefallen.“ Sie war sich schon so gewöhnt daß Lisabeth von dem Toten redete wie von einem Anwesenden, daß es ihr selbst schier natürlich vorkam.
Mit Hilfe der Frauen legte nun auch Anna ihr Festkleid über. Es war von einem weichen und seltenen Grün, dessen Widerschein Hals und Arme mit einem zarten Perlmutterglanz überhauchte. Haar und Augen jedoch erschienen im Widerspiel dazu heller als sonst, und wann etwa ein Sonnenstrahl die Locken traf, die links und rechts unter der goldbordierten Haube auf die Schultern niederfielen, meinte man bisweilen ein rotes Fünklein darin aufsprühen zu sehen.
Nachdem sie mit der Pfarrersfamilie und der noch ungeschmückten Braut ein schnelles Frühstück genossen — in der hinteren Laube, denn die großen Stuben im Erdgeschoß waren allbereits zu Morgensuppe und Hochzeitsmahl festlich gerichtet — half Anna beim Anziehen der Braut, die sich nicht ohne Mühe in die ungewohnten steifen und schweren Kleider pressen ließ.
Eben hatten sie Enneli die gewichtige Krone auf das nun schöngelockte Köpflein gesetzt, sodaß sie darunter hingebungsvoll aussah, wie ein duldend und schmuckreich Opferlämmlein, als von der Straße, allwo sich viel Volk besammelt hatte, ein aufgeregtes Rufen hertönte: „Sie kommen, der Hochzeiter! Der Hochzeiter!“
Anna trat ans Fenster. Vom Dorf herauf gesprengt erschienen Vater und Brüder. Zu Mitts Rudolf, hochzeitlich gekleidet, mit leuchtenden Augen und rötlich die gebräunten Wangen. Noch nie war er ihr so stattlich erschienen wie jetzt, da er hochaufgerichtet zwischen dem blassen ergrauten Vater ritt und dem
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