Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
es einen zornerfüllten Blick auf Schlatter. Anna mußte im geheimen lächeln: so war es nun, das heiße, wilde Ding, so eifersüchtig in seiner schwärmerischen Liebe zu ihr, daß sie mit keinem andern mehr hätte gehen sollen. Aber Schlatter schien nichts zu bemerken von dem Zorn des Mädchens; überhaupt schien er nichts zu sehen. Mit gesenktem Kopf lief er neben ihr her und betrachtete den Boden, als ob sich nicht rings die Welt in ihrem goldigen Reichtum vor ihnen aufgetan hätte.
Auf einem Känzelein blieb Anna stehen und blickte nach der Ebene zurück. Die Sonne hatte mit der feuchten Luft milde Schleier über das Land gelegt, daraus aber zu fernst die dunkeln und weißen Berge mit scharfen Horizonten hervorbrachen. „Die schöne silbrige Ebene!“ sagte sie erfreut.
„Die Ebene?“ Der andere lachte. „Ein Holländer, wann er das sähe: ‚Die wilden grausamen Berg!‘ würde der ausrufen.“
„Liebt Ihr Eure neue Heimat?“ fragte Anna. Er zuckte mit den Achseln: „Vielleicht, ich weiß es nicht. Das ist mir heut alles so fern und alles gleich.“
Anna blickte ihn erstaunt an. Der sah doch nicht aus, als ob er gleichgültig wäre! Und dann suchte sie ihn aufmerksam zu machen auf die Schönheiten rings.
„Ja, schön,“ sagte er leise, aber seine Blicke gingen nicht in die Ferne, sondern hafteten an Annas Händen, derweil sie sich die Haube abnahm.
Sie gingen wieder bergan. Der Pfad wurde schmal, daß sie hintereinander schreiten mußten. Ein kleiner Wind spielte um Annas freien Kopf und wehte ihr schmeichelnd die Haare über die Wangen, daß sie unter der feinen Liebkosung warm wurden.
Plötzlich hörten sie das Estherlein schreien: „Feuerblumen, schaut die Feuerblumen!“ und jubelnd sprang es in eine kleine Grube, die sich seitlich in den Rebberg drückte. Zwischen rötlich lehmiger Erde und gelbem Gestein flammte es überall von verspäteten roten Mohnbüscheln. „So kommt doch!“ rief das Estherlein ungeduldig und gebieterisch den erstaunten Kindern zu. „Ihr sollt mir pflücken helfen! Die alle sind für das Tanti, alle, alle für die Anna, weil die sie doch so scheußlich lieb hat.“ Nun folgten auch die andern, und während Anna ihnen Anweisung gab, wie man die Feuerblmuen pflücken müsse, ohne sich Hände und Kleider zu beschmutzen mit dem räßen Saft der Stengel, und daß man vor allem nur die halberschlossenen nehmen soll und nicht die hellen, kränklich blassen, sondern die dunkeln, glutroten, sah sie voller Verlangen nach den lieben lockenden Blumen. Hätte sie nicht ihr schweres Staatskleid getragen, sie wäre selbst hinuntergesprungen mit den Kindern.
„Liebt Ihr die Feuerblumen?“ fragte Schlatter im Weitergehen. „Die Frauen, so ich bisher gekannt, liebten wohl Rosen, Ilgen, Levkoien und andres gartenmäßige und duftende Gewächs, ich glaub’ aber, daß sie für dieses heiß und wilde Unkraut kaum mehr denn ein verächtlich Nasenrümpfen übrig gehabt hätten.“
„Nennt es immerhin Unkraut,“ antwortete Anna lachend; „mir ist’s die allerliebste Blume: feurig und zart mit den seidnen roten Blättern und tapfer mit den feinen stachligen Stengeln. Und wie sie sterben! Welken nicht und faulen nicht; aber wann der Abendwind kommt, dann geben sie ihm still und froh die roten seidnen Blättchen mit: ‚Da nimm sie!‘ und stehen dann ruhsam und starr, die Köpfchen, so sie am Morgen noch bescheidentlich neigten, stolz gehoben — denn sie dürfen’s, da sie ihr Ziel erreicht. Das ist kein Unkraut nicht, ist eine gar köstliche Blume, recht als ein Vorbild und Exemplum könnten wir sie nehmen mit ihrer edeln Art, bescheiden und stolz zur rechten Zeit: modesta iuventus, honesta senectus. 1 “
Schlatter sah Anna von der Seite am „Den Spruch hab’ ich allbereits gelesen, war auf dem Bildnis einer edeln Jungfrau — feurig und zart, tapfer und fein, bescheiden und stolz,“ er lächelte, „ich hab’ es gut betrachtet, das Bildchen — Rudolf hat es mir gezeigt — aus Hunderten hätt’ ich Euch wiedererkannt!“
„Rudolf hätte Gescheiteres tun können, als mein Contrafetchen andern zu zeigen, so unnütze Sprüch dazu machen,“ sagte Anna barsch und ärgerte sich darüber, daß ihr unter der . Schmeichelei des Fremden das Blut in die Wangen gestiegen. Er hatte solch merkwürdige Stimme, schwebend und leichthin, aber mit einem Unterton, der allen Worten einen besonderen und tiefen Sinn zu verleihen schien.
„Wenn Ihr wüßtet,“ fuhr er unbeirrt fort,
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