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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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atembeklemmend wie eine Vision, erschienen jene grüngoldnen Frühlingsmorgen droben auf dem Lindenhof, da sie den jungen Müttern nachgeblickt und den zartflaumigen Köpfchen und ihr neue, seltsame Gedanken über Unsterblichkeit aufgegangen und ein süßer und geheimnisvoller Drang ihr schier das Herz versprengen wolltc. Aber sie wehrte sich standhaft gegen die holden und schmerzbringenden Bilder — Vorbei, vorbei … Und es tönte schier ruhig, als sie endlich leise ihren Glückwunsch darbrachte und die Frage nach des Estherleins Befinden daran knüpfte.
    „Wohl geht es ihr gut,“ antwortete der Amtmann; dann aber kam ein kaum hörbares Zittern in seine Stimme, als er beifügte: „Sie vermeinet jedoch, so du dich freiwillig und aus verzeihendem Herzen zu dem Kinde als eine Patin bekennen wolltest, fehlte nichts mehr an ihrem Glücke.“
    Wieder entstand eine kleine Pause; dann erhob sich Anna mit stiller Festigkeit: „Das will ich, Vater,“ sagte sie bestimmt, „und zwar möcht’ ich es ihr, damit sie es recht spüren mag, alsobald in einem Brief selbst zusagen.“
    Langsam richtete sich der Greis in seinem Stuhle auf und sah Anna aus weitgeöffneten Augen an. Dann griff er plötzlich nach ihren Händen und zog sie zu sich nieder und küßte sie, daß ihr ob dem seltsamen und völlig ungewohnten Tun das Herz zerfloß und sie leise weinend den Kopf in seinen Schoß legte. Und als einmal des Vaters Hände zögernd und so unsäglich wohltuend über ihr Haar strichen — ach, die armen Hände mit dem harten hastigen Schlag unter der spröden Haut — vermeinte sie, diesen Mann, der kühl und streng über ihrem Leben gewaltet hatte, zum ersten Mal zu verstehen, und als sie nun aufblickte und in seinem Gesicht forschte, entdeckte sie darin einen Zug von Milde, den sie früher niemalen an ihm gesehen; zugleich aber fiel es ihr schwer aufs Herz, wie krank dieses Gesicht war, wie müd die gelben Augen unter den bläulichen Lidern, wie hohl die fahlen Wangen, und der himmelblaue Strang an der rechten Seite des Halses hatte keinen sichern Puls mehr, sondern zitterte und bebte wie Flügel eines gefangenen, zu Tode geängsteten Vögelchens.
    „Ja,“ sagte der Amtmann, als ob er ihre Gedanken vernommen, „so ist es nun, daß ich über ein Kleines nicht mehr da sein werde, und es ist recht so, maßen mich nach einem vollen und werkerfüllten Leben nach nichts so sehr verlangt wie nach Ruhe.“ Und bei dieser Rede hatte er wieder den alten bestimmten Zug um den Mund, der keinen Widerspruch erlaubte, so daß Anna still und mit gesenkter Stirn seinen weitern Worten folgte; sie faßte aber ein jegliches auf wie ein Kleinod, daß es ihr für alle Zeiten zum unverlierbaren Schatze bleiben möchte.
    „Solcher Gestalt war mein Leben,“ fuhr er ruhig fort, „daß ich heute unserm Gott nur danken kann, sintemal er mich zuletzt allenthalben über Irrungen und Schmerzen hinweg Ziel und Sinn erkennen läßt und endlich noch am heutigen Tage eine Schuld von mir nimmt, so lange auf mich drückte; denn an deinem tapfern und guten Wort erkenne ich, daß auch du nun zumal den rechten Weg gefunden hast. Es gab aber eine Zeit, da ich nimmer daran glaubte und da ich mir die Schuld daran beimessen gemußt, dieweil ich dich wohl auf einen außergewöhnlichen Weg zu stellen, nicht aber deinen fernern Wandel darauf zu beschützen vermochte, sondern vielmehr, deine Fähigkeiten in Verkennung deiner innern Triebe zu häuslichen und eigenen Zwecken ausnützend, dir jenen Weg sozusagen abgrub.“
    Er schwieg einen Augenblick wie erschöpft von seinen Worten. Anna erhob sich langsam mit stillen Augen:
    „Nein, Vater, so sollet Ihr nicht reden!“ Ihre Stimme klang schier feierlich, aber mit einer großen Innigkeit. „Nicht abgegraben, geöffnet habt Ihr mir die Wege. Ihr seid es gewesen, der mein Lebensgärtlein also einrichtete, daß es wohlbestellt war mit vielen unterschiedenen Pflänzlein, und starb nun eins, so war immer noch ein anderes da, es zu ersetzen. Es gibt aber solche, sie gleichen denen Zierbeetlein, darein der kurzsichtige Gärtner ein einzige Pflanze gesetzt, um sie zur Üppigkeit zu ziehn; fehlt nun aber diese, so ist alles dahin und bleibt nichts dann verödet Erdreich.“ Ihre Stimme schwankte. Sie dachte an ihre Jugendfreundin Sibylla, wie sie an verkümmertem Herzen hinwelkte, daß sie alt war und vergrämt mitten im Leben, und der Gedanke griff ihr ans Herz.
    Der Amtmann nickte still vor sich hin: „Menschenschuld oder

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