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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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dort gleichermaßen einen Brunnen speiste, ob es wohl eine ähnliche Verzauberung erfahren. Aber Brücke und Brunnenhaus verdeckten ihr den Ausblick; dafür gewahrte sie zwei Herren, die gleich ihr über das fernere Geländer der Niedern Brück gelehnt, mit eifrigen Gebärden ebenfalls etwas Absonderliches zu betrachten und verhandeln schienen, und da sie in dem einen, dem lebhaftern kleinen, schwarz gekleideten, Professor Scheuchzer zu erkennen glaubte, beobachtete sie angelegentlich die beiben, bis sie eiligen Schrittes hinter dem Rathaus verschwanden. Aber gleich darauf tauchten sie wieder auf, drüben am Stad, und boten und entzogen sich ihren Blicken mit dem Weg, der hier und da ans Ufer trat, um gleich wieder unter den Tilenen, den gewölbten Lauben der Zunfthäuser, oder hinter diesen zu verschwinden. Das war der seltsame, verstückelte Weg, der sie so oft an ihr eignes Leben gemahnte, darinnen alles unganz war, zerschnitten und ohne Fortsetzung. Auch jetzt drängte sich ihr wieder dieser trübselige Vergleich auf; aber gleichzeitig kam ihr auch eine abergläubische Anwandlung, die sie hieß, die beiden Herren als Orakel zu benutzen: Bogen sie von der Wühre her in diese Brücke ein, die glatt und ungestört zur mindern Stadt geleitete, so sollte das ein gutes Omen sein, daß auch ihr Leben einst noch auf zusammenhängende Wege gelangte.
    Mit einer Spannung, die sie kindisch schalt und doch nicht hindern konnte, sah sie den beiden entgegen, und da sie am Ende wirklich unter dem breiten Holzdach des Helmhauses, das den untersten Teil des Stegs verschlang, erschienen, trieb es ihr eine starke Freude zum Herzen, daß sie dem Professor freundlich zunickte, noch ehe dieser grüßen konnte, was er freilich unverzüglich mit einer allerehrfürchtigsten Reverenz nachholte und einem fröhlichen Lachen, das wohltätig über das blasse, blatternzerrissene Gesicht lief.
    „Welch schöne Rencontre, liebste Waserin!“ rief er erfreut, und rasch an Anna herantretend: „Da kann ich Euch ja gleich einen alten Bekannten präsentieren, der eben mit viel Eifer nach Euch geforscht.“
    Jetzt erst faßte Anna auch den andern ins Auge, und ehe noch Scheuchzer dessen Namen genannt hatte, erkannte sie in dem stattlichen, braungewandeten Herrn ihren Jugendfreund Lukas Stark wieder. Sie erkannte ihn und war selbst darüber verwundert, denn was war da in dem festen, rötlichen, von einer etwas aufdringlichen Perücke umwallten Gesicht noch von dem alten Lux zu entdecken? Aber da sie sich nun begrüßten, lag doch etwas im Druck der Hand, was sie irgendwie an ferne Zeiten erinnerte. Ja, das waren immer noch dieselben Hände, und sie mußte unwillkürlich denken, daß sich der ganze Mensch gleichsam ihnen angepaßt habe, diesen rötlichen, festen Händen, die einstmalen so schlecht zu dem nervigen Jüngling gestimmt hatten. Indes erzählte Scheuchzer vergnügt, wie er in Herrn Stark einen fürtrefflichen Förderer eigenster Sachen gewonnen, maßen er nicht bloß illustrationes zu seinem neuen Werke zu liefern gewillt, sondern auch ihn auf einer wichtigen Reise durch die Berner Alpen zu begleiten vorhabe, solche er aus ältester Vertrautheit aufs genaueste kenne, was für ihn und die Wissenschaft gar schätzenswert sei.
    Überrascht sah Anna ihren einstigen Freund an: „So habt Ihr Euch denn auf alte Wege zurückgefunden?“ rief sie erfreut.
    Der andere aber gab ihr einen dringenden Blick: „ On revient toujours à ses premiers amours! 1 “ und er versuchte zu lächeln. Nun saß aber dieses verkümmerte Lächeln des zu kleinen Mundes so komisch zwischen den festen Backen, daß Anna beim Gedanken, alte Gefühle könnten unter so veränderten Verhältnissen wiederkommen, unwillkürlich und fast lustig lachen mußte, und ob diesem ungewohnten Lachen wurde ihr selber wohl, als ob sie damit irgendein altes Gespenst verscheucht hätte.
    Stark aber ließ sich nicht beirren, obschon ihr Gebaren sein flüchtiges Lächeln gleich wieder gelöscht hatte. „Seid nicht zu absprechend, vieledle Jungfer,“ sagte er mit einem ganz kleinen Spott, „hab’ ich doch eben von Herrn Scheuchzer vernommen, daß auch Ihr nach langer, höchst bedauerlicher Unterbrechung zu alten guten Gepflogenheiten zurückzukehren nicht verschmäht.“
    Anna war unter seinen Worten wieder ernst geworden. „Ganz die alten sind es wohl nicht,“ entgegnete sie langsam und dachte an die großen Anstrengungen, die sie machte, um neue Bahnen zu finden in der alten

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