Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Herrn meine Huldigung darzubringen nicht unterlassen konnte noch wollte, ritt ich gestrigen Morgens in des Professor Schrammii, meines loblichen collegae an dasiger Schul, Begleit nach Braunfels hinüber.
Am frühen Morgen, in währendem Tagesläuten und mit der hellen Sonnen brachen wir auf, und war es das Dilltal hinab ein gar andächtig und lustig Reiten. Du mußt namlich wissen, daß die Länder hier am Lahnfluß von großmächtigen, sonderbar buchenen Forsten, deren ich in solchem Pracht meiner Lebtag nicht gesehen, dermaßen bestanden, daß man von einem erhabenen und weitblickenden Punkte, wie etwan dem Bergfried von Braunfels aus, in die hellen windbestrichenen Wipfel weithin als in ein unermeßlich grün Meer zu blicken vermeint, welche Wälder mit einem frischen, würzigen Odem, auch mit überlautem Vogelgeschrei uns gar trostlich aufnahmen. So ritten wir etwas Zeit dahin, schweigenden Mundes, maßen der Jubel der Creatur sowohl als ein mild grün Licht, so uns zudeckete, mit allerlei ernsthaften, zu Gott gerichteten reflexiones einen gar andächtig stimmte. Um so größer war mein freudiger Schrecken, als die grüne Kirche auf eins ihr Türen auftat und gegen uns über, auf hohem Burgfels ob dem Tal ein gewaltig Schloß mit vielen weithin erglänzenden Türmen sich darstellte. Als wir dann über die Lahnbrück und weiter den Schloßberg hinanritten und die Burg also nahe vor unseren Augen war, mußte ich freilich mit Schmerzen gewahren, daß das herrlich Schloß, solches in deutschen Landen unter den schönsten eine privilegierte Stell einzunehmen wohl verdiente, die Folgen eines großen und mörderischen Brandes, so die Kriegsfuria vor zwanzig Jahren darüber geworfen, noch nicht völlig überwunden hat, sondern vielmehr mit geschwärzten Steinen und auch wohl einem halbgestürzten Turm gar betrüblich an sich erzeiget. Das Schloß hat zu seinen Füßen eine kleine Stadt mit lustigem Marktplatz, und kann ich Dir das Ganze mit nichtes besser vergleichen denn mit unserm festen Regensberg, das gleichermaßen auf hohem Fels über der Weite thront, nur daß Du Dir alles ins Große, ja Ungemessene übersetzet und das Schloß von festen Toren und den allzeit wachen Kriegsleuten aus des Grafen Regiment wohlbeschützet denken mußt.
Durch unterschiedene Tor und ein dunkles Gewölb, darauf die Schloßkirche mit festem Gestrebe köstlich stehet, gelangeten wir zur Schloßwach, allwo ein Steintafele, so ein Beil auf blutiger Hand und die Warnung: ‚Wer diesen Burgfrieden bricht, wird also gericht‘ gar bedrohlich darstellet, mir auffiel. Die Wach im blauen Kriegsrock, die meinen Begleiter, maßen er ein häufiger Gast des Grafen, wohl erkannte, ließ uns unbeschoren ein. Im Schloß selbst, wo man uns einen mit allerhand altem und kunstreichem Dekor ausgeschmückten Saal eröffnete, allwo wir uns etwas Zeit wartend aufhielten, wäre den Augen viel Vergnügens und Zeitvertreibs gewesen, wenn nicht, über meine angeborene indifferentiam gegen derlei Sachen, ein starke Enge auf der Brust mir die Schaulust benommen hätte, solche vom Anstieg sowohl als dem Herzklopfen, das mir der Ort und das nahe Zusammentreffen mit dem hohen Herrn verursachte, herrühren mochte. Aber eja, wo war mein enge Brust, da nun der Gefürchtete selber erschien und mit soviel freundlichem und leutseligem Wesen mich begrüßete, daß mir das Herz aus der Angst in die lautere Freud mit einem Purzelbaum hinübersprang! Denk Dir einen Mann, ohngefähr von des Onkel Fähndrichs statura, aber annoch jung und mit viel Geschmeidigkeit in den stählernen Gliedern. Willst Du aber wissen, wie er gekleidet, so fragest Du umsonst, maßen ich über seinem hellen und strahlenden Aug, woraus ein edler und gütiger Geist gar vernehmlich sprach, und über seinem guten und fröhlichen Wort das Äußerliche zu beschauen füglich vergaß. Wohl aber glaub’ ich, daß er einfach und ohne absonderliche, noch aufdringliche insignia ging. Als ich meine vorgenommenen, wohlgesetzten Wort mit viel Würde und Herzklopfen vorgebracht, legte er mir sein feste Hand auf die Schulter, also mächtig, daß ich ein Husten befürchtete, das aber glücklicherweis nicht heraufkam, und lachte: ‚Er ist Schweizer, Herr Professor; ich hör’s an seiner Sprach, die gar so lustig aus der Kehlen heraufsinget,‘ und er versuchte ein paar zürcherische Brocken, solche aus seinem Mund also possierlich klangen, daß Herr Schrammius wie ich, ohngeachtet allen Respektes, in ein Gelächter
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