Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
ausbrachen. ‚Sieht Er,‘ lachte der hohe Herr mit, ‚nun sind wir allbereits gut Freund, so Er ein Schweizer, maßen ich für selbigs Volk eine absonderliche prédilection habe.‘ Und dann erzählte er mir, daß er in seiner Jugend einen schweizerischen Präzeptoren, einen gewissen theologum Bachofen, so jetzo im zürcherischen Bischofszell amte, gehabt und daß er ihm für seine tüchtige und grundrichtige Lehr sein Lebtag dankbar bleib’. Auf diesem Gedankengang aber kam er zu der Frag, um deretwillen ich heute einen schönen und kostbaren Morgen lang über dieser Epistel sitze.
‚Da Er nun directe von dem vielweisen Zürich kommt, wüßt’ Er mir am Ende nicht unter seinen commilitones einen ephorum und Hofmeister für die jungen Grafen, dieweil der gegenwärtig Gouverneur auf Weihnachten uns zu verlassen gedenket?‘ — ‚Wohl wüßt’ ich einen,‘ sagte ich und dachte an Dich und erzählte von Deinen schönen Successen, so Du an unserm collegio insonderlich in den alten Sprachen und historia gehabt, daß Du aus reputierlicher patrizischer familia, annoch frei und zur Übernahme der so ehren-als verantwortungsvollen Aufgabe nicht allein aufs beste qualificieret, sondern auch herzlich geneiget seiest.
Eja, hättest seine Freud gesehn! ‚Famos, famos,‘ rief er und schlug auf sein fest Knie, daß es klatschte; ‚den Mann muß ich haben! Wie heißt denn das Lumen?‘ Aber kaum hatt’ ich Deinen Namen genennet, als ich sobald auch ein nachdenksame Miene an dem edeln Herrn bemerkte, der den Namen ‚Waser‘ einige Male vor sich hinmurmelnd mit gerunzelter Stirn um sich sah wie einer, so etwas suchet, schließlich aber sich an mich wendete: ‚Helf Er mir, sag Er mir, wo ich den Namen allbereits vernommen!‘ Als ich nun Deine edeln oncles, den Bürgermeister und Antistes nannte, auch Deines, wegen seiner Wissenschaft wie weiten Reisen vielverrühmten Urgroßvaters Casparus gedachte, schüttelte er heftig sein schön Haupt: ‚Nein, nein, die Erinnerung stecket in einer andern Schubladen meines Schädels, dann wo ehrbare politici und Gelehrte aufgespeichert liegen,‘ und lacht plötzlich und schnalzt mit den Fingern: ‚Da hab’ ich’s, bei dem Schwarzenburger war’s, dem Grafen Günther in Arnstadt drüben, hat einen Antiquarius, ein vielgelehrt Haus, der sich sonderlich mit alten Münzen befaßt, von denen er eine große Collection weniger in Originalen, dann in Kopien besitzet. Da mir nun unter diesen Zeichnungen etwelche als besonders schön und von zierlicher Hand auffielen, nannte er mir eine Malerin, solche er sowohl ihres bei großer Jugend ungemeinen Geistes als ihrer Kunst wegen, mit der sie sich den Männern furchtbar mache, als ein miraculum bezeichnete. Dieses Wunderkind aber trug den Namen Wasera.‘ — ‚Und der Antiquarius,‘ rief ich erfreut, ‚ist der verrühmte Herr Andreas Morell aus Bern!‘ — ‚ Parfaitement, ‘ entgegnete der Graf erstaunt. ‚Kennet Er also die Malerin und ist sie etwan eine Verwandtin Seines Freundes?‘ — ‚Die Schwester, Euer Durchlaucht,‘ antwortete ich, und kam mich eine solche Rührung ob dieses schönen und höchst wunderbaren Zusammentreffens an, daß mir meine Tränen zu unterdrücken nur mühsam gelang. Worauf der edle Herr aber aufsprang, etliche Male hin-und herging und sich schließlich mit einem Gesicht vor mich hinstellte, daraus ein plötzlicher Entschluß gar hell leuchtete: ‚Was meint Er, Herr Professor, könnten wir die wunderbare Malerin auch hieher bekommen?‘ Und da ich, daß es sich wohl machen ließe, gern zugab: ‚Da müssen wir mit der Gräfin reden,‘ rief er und führte uns nach einem andern Gemach, von wo uns eine schöne und seltsame Musik, wie ich eine solche noch nie vernommen gar rührend entgegenklang. Darinnen saß die Gräfin, eine schöne und zarte Frau, halb liegende in einem Faltstuhl, neben einem sowohl seines figurierten Holzwerks und schön bemalten Deckels wie des himmlischen Tones wegen wunderbarlichen Clavecin, das eine andere Dam mit weißen Fingern rührte. Die Gräfin kam uns aufs angenehmste entgegen und gleichermaßen die fremde Dam, von der mir mein Begleiter nachhero, daß sie, eine französische Hugenottin von fürstlichem Geblüt, hier als in einem refugio und zugleich als Freundin des hohen Paares weile, zu berichten gewußt und die mir einer hohen klaren Stirn und eines großen lebhaften Auges wegen merkwürdig war. Kaum hatte der Graf seine Dich wie Anna betreffenden Projekte
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