Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
„Ja, so wär’s schön bei mir, glatt und geordnet, fast wieder wie zur Zeit, als ich mit Mutter seligen hauste“, war da nicht wieder etwas Liebes in ihr, wie eine ganz, ganz kleine Freude? Und so blieb sie denn.
Auch im Waserschen Hause gewöhnte man sich daran. Vielleicht war es sogar um einen kleinen Schimmer heller geworden im Grauen Mann, seitdem Marias müder Schritt nicht mehr durch die dunkeln Stuben ging. Anna freilich vermißte zuerst den stillen Gast in ihrem Arbeitszimmer und daß ihr Blick nicht mehr auf Marias still schaffenden, nachdenklichen Händen ruhen konnte, wann sie von der Arbeit aufschaute. Aber als dann die andern Geschwister, die früher die Scheu vor der ernsten Maria ferngehalten, Annas Malstube mehr und mehr als ihre Heimstätte betrachteten, da war es doch auch ihr, wie wenn nach erloschenen Zeiten ein Licht wieder aufgeht, ob es schon kein übermütig jung Leben war, das sie mit sich brachten. Kein fröhliches Kinderlachen trug der kleine Heini herein, der stundenlang neben der großen Schwester stehen und aufmerksam jeden Pinselstrich beobachten konnte, nur hier und da die Stille durch seltsame Fragen brechend, die oft zaghaft und um bewußt um die letzten Dinge tasteten. Und Rudolf, der seine inneren Kämpfe vor Anna ausbreitete und seinen schwerverhaltenen Groll gegen den Vater, der ihm jeglichen Umgang mit Scheuchzern und seinen Genossen untersagt hatte, brachte auch kein frohes und helles Wesen, wohl aber Leben und ein heißes Herz, an dessen weitzielenden Plänen Anna sich selbst entzündete.
Auch Elisabeth kam. Nur selten und in den Stunden des Zwielichts. Dann erzählte sie von ihrer Liebe. Mit einer leisen schwebenden Stimme, auf der, wie der feuchtschimmernde Hauch auf Morgenblüten, eine innige Zärtlichkeit lag. Und die zarten Worte ließen Anna erzittern. Wie anders war Lisabeths Empfinden voll grenzenloser Hingabe als ihre Liebe, die gekämpft hatte und gejubelt und so rasch zusammengebrochen war! Ja, das war es wohl, das große tiefe Gefühl, das für ein Leben dauerte und über den Tod hinausging und das sich nicht an sich selbst verblutete. Die große selbstlose Liebe, die wenig verlangt und alles gibt. Anna fing an, Elisabeth zu beobachten mit einer Art scheuer und stiller Verehrung. Und als deren Geliebter wieder in seine Vaterstadt kam und mit dem stillen Einverständnis der Eltern im Hause verkehrte und sie sah, wie die beiden aneinander hingen und sich liebten ohne Ungestüm mit einem heiteren innigen Genügen und wie die Schwester dem andern sich unterordnete in allem und ihre ganze junge Menschlichkeit bedingungslos in dem Wesen des geliebten Mannes auflöste, da begriff sie, daß es ein Glück gab, das für sie nicht bestand, weil es eine Liebe gab, deren sie nicht fähig war. Etwas war in ihr, das sich nicht hingeben konnte, was sich behaupten mußte, das stärker war als sie selbst und alles, das von außen kam. Worte von Andreas Morell fielen ihr ein und Werners Warnung: „Kunst und Liebe, ein Weibesherz ist zu eng für beides!“ So war es doch wohl deshalb, daß ihre Liebe sterben mußte, damit das andere sich entfalten konnte, ganz. Ein höheres Zeichen war es am Ende, daß sie sich nicht verlieren durfte, weilen etwas Bedeutsames in ihr war, wohl wert, ein ganzes Leben ihm zu weihen.
Und in ihren steten Arbeitseifer kam ein neues Feuer, das sie antrieb, über das Erreichte hinaus neuen, größeren Zielen zuzustreben. Wie Rudolf, der auch nicht an Liebe dachte und die Bedürfnisse des Herzens, wollte sie einem Großen folgen, mochte es noch so fern liegen und unerreichbar, sie wollte daran glauben und kämpfen, kämpfen. Die großen Namen, die Werner ihr oft genannt hatte, wie man einer zagenden Seele die Seligkeiten des Jenseits nennt, um sie zu gläubigem Aufschwung zu treiben, klangen ihr im Ohr. So jung war sie noch, sollte nicht ein Weg sich finden, der über ihr gegenwärtiges Können, auf das sie vor kurzem noch so stolz gewesen und das ihr nun auf einmal nicht mehr genügen konnte, hinaus nach jenen glänzenden Höhen führte!
Wie ein Fieber kam es über sie. Ihre Malstube wurde ihr zu eng und die Aufträge, die sich mehrten, aber über die Schranken des Gewohnten nicht hinauswiesen, zur Qual. Kopieren, immer wieder kopieren und hier und da ein Contrafetchen nach dem Leben, war das die große Kunst, von der sie geträumt hatte? Wo waren die stolzen Pläne, die sie einst mit Giulio geschmiedet, wo ihr eigene gute Kraft? Sie dachte an ihr
Weitere Kostenlose Bücher