Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
sollte sie, ist ja bleich wie eine Kellerrübe — und sich um etwas annehmen. Wann man fremde Wunden verbindet, vergißt man am ehsten die eigenen, und frischere Luft haben wir auch droben auf dem Graben und im Feld als ihr in eurer Staatsgass’, und grad die Fremde sollte das großväterliche Haus ihr auch nicht sein.“
Da legte Anna ihre Hand begütigend auf der Mutter aufgeregte Finger: „Ich glaub’ auch, Mutter, daß es gut wär’ für die Maria. Wenn Ihr einverstanden seid und der Vater nichts dagegen hat — ich will sie schon dazu bringen, und wenn es etwa mehr zu helfen gibt, ich greif’ gern mit an.“
Anna leuchtete dem Onkel die Treppe hinunter. Unten vor der Türe blieb er stehen und betrachtete das Mädchen, das im roten Kerzenlicht hell vor ihm stand, einen Augenblick. „Das liebe, klare Gesichtlein,“ murmelte er und streichelte ihr weiches Kinn. „Ist gut, daß du da bist, Anna, so klare Augen, wir können sie hier brauchen. Ist nicht alles im Blei: Mattheit und Phantasterei und Weichlichkeit und Strenge — all’s ohne Ausgleich. Dein gesunder Kopf und dein jung Blut können viel Gutes schaffen da, vergiß das nicht neben deiner Wissenschaft und Künst.“ Er drückte Anna die Hand, daß es sie schmerzte, und verließ dann mit lauten Schritten das Haus.
Nachdenklich stieg sie die Treppe hinauf. Viel neuer und besonderer Gedanken waren ihr durch den Kopf geschossen heute und brodelten durcheinander. Nun aber lag des Onkels Wort zu oberst. Viel Gutes schaffen, ausgleichen — ja, ja, wann sie es konnte! Und es kam ihr auf, wie selbstisch sie bis jetzt gelebt, am meisten in der Zeit der Schmerzen; aber das mußte jetzt vorüber sein. Sie gab sich einen Ruck, daß das Licht in ihrer Hand flackerte. Ein stilles Herz mußte sie haben, einen steten Sinn und eine sichere Hand, wenn sie den andern helfen wollte.
In der Stube standen sie schon zur Abendandacht bereit, mit gesenkten Köpfen und gefalteten Händen, und der Vater vor ihnen, aufrecht über der offenen Bibel. Rasch trat Anna in den Kreis neben die alte Sarah, die etwas abseits dastand und ihre braunknochigen Finger unbeholfen ineinanderschlang.
Der Amtmann hub an, mit scharfer, eintöniger Stimme, den Blick unverwandt auf seinen Sohn gerichtet:
„Solches stehet geschrieben in des Apostels Pauli erster Epistel an die Korinther, allda im dritten Capitulo, und hat diese Worte ein trefflicher Diener unserer Kirchen, namlich der Antistes Casparus Waserus, unser seliger Oheim, seinem ersten Sermon zugrunde gelegt, so er auf der Kanzel Zwinglis gehalten.“
Er las:
„Und ich, lieben Brüder, konnte nicht mit euch reden als mit Geistlichen, sondern als mit Fleischlichen, wie mit jungen Kinder in Christo. Milch habe ich euch zu trinken gegeben und nicht Speise, denn ihr konntet noch nicht: auch könnt ihr noch jetzt nicht. Dieweil ihr noch fleischlich. Denn sintemal Eifer und Zank und Zwietracht unter euch sind, seid ihr denn nicht fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise? … So ist nun weder der da pflanzt, noch der da begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Der aber pflanzt und der da begießt ist einer wie der andere. Ein jeglicher aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit.“
Langsam schloß er das große silberbeschlagene Buch, mit einem ehrfürchtigen Blick nach dem Bildnis des Antistes, der mit langem weißem Bart und milden Augen aus dem dunkeln Rahmen herausblickte.
Dann folgte der kurze Abendsegen, und mit stummem Gruß verließ eins nach dem andern die Stube. Nach dem göttlichen Wort sollte keine weltliche Rede mehr laut werden, so wollte es der Amtmann.
Anna sah, wie Rudolf bleich und mit hängenden Armen hinausschlich. Elisabeth aber hatte immer noch dasselbe stille Lächeln in den Augen, das sie den ganzen Abend trotz den heißen und wilden Worten nicht verloren.
Ja, bei der war’s nun Frühling, und sie wandelte im Licht.
*
Maria hatte sich überreden lassen. Sie war zum Oheim in sein luftiges Haus auf der Schanze hinaufgezogen und blieb dort, auch als die alte Schmidin das Bett wieder verlassen konnte. Ihre jungen Augen und sorgfältigen Hände waren auch jetzt noch nötig. Der Onkel bewies es ihr und wußte immer neue Aufgaben zu stellen, verantwortungsvolle, die den Kopf in Anspruch nahmen. Das war nicht leicht; aber man gewöhnte sich daran, und der Kopf wurde heller und das Herz minder sehr, ach, und wann sie sah, wie des Onkels Behagen wuchs und er ihr freundlich zunickte:
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