Die Geschichte der Deutschen
Entscheidungen, bei denen sie auf die Hilfe einer Reichswehr angewiesen ist, die die Republik ablehnt. Die Wirtschaftskrise wächst, da die seit Jahren auf eine Kriegswirtschaft eingestellte Industrie nur langsam auf die notwendige Friedensproduktion umgestellt werden kann. 1923 besetzen die Franzosen dann auch noch das Ruhrgebiet, um ihren Forderungen nach den im Friedensvertrag vereinbarten Kohlelieferungen Nachdruck zu verleihen. Die Berliner Regierung ruft zum passiven Widerstand auf. Im Gefühl der allgemeinen nationalen Empörung über das Vorgehen der Franzosen wird er fast hundertprozentig befolgt. Aber der »Ruhrkampf« übersteigt schon bald die wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands, da die Gehälter der Beamten und Angestellten und die Unterstützung für die streikenden Bergarbeiter vom Reich bezahlt werden müssen. Die schon in den Kriegsjahren einsetzende Geldentwertung beschleunigt sich wahnwitzig.
In Bayern wachsen parallel zum Ruhrkampf die rechten Kräfte, die mit dem Gedanken einer Abspaltung des Landes spielen. Am 9. November putscht Adolf Hitler in München und kündet den »Marsch nach Berlin« an. Der unbelehrbare Erich Ludendorff ist in der ersten Reihe dabei. In Thüringen und Sachsen treten Kommunisten in die von der SPD geführten Regierungen ein und neue Revolutionsgerüchte machen die Runde. Während die Reichswehr sich weigert gegen den rechten Separatismus in Bayern einzugreifen, lässt sie ihre Soldaten die Regierungszentren in Thüringen und Sachsen besetzen und jagt die Minister aus ihren Ämtern.
In Deutschland herrscht bis Ende 1923 ein permanenter Bürgerkrieg. Adel, Militär, Großindustrie und Teile des Bürgertums verweigern der jungen Republik ihre Zustimmung. Die Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens werden als »Novemberverbrecher« und der Friedensvertrag von Versailles als »Schandvertrag« bezeichnet. Über die Frage, was denn ihr eigener Beitrag zum Kriegsausbruch |208| und zum desaströsen Ausgang gewesen ist, verlieren die Republikfeinde kein Wort. Sie propagieren das Märchen vom deutschen Verteidigungskrieg und die »Dolchstoßlegende«, den angeblichen Verrat der Linken an der Heimatfront. Verhängnisvoll ist es, dass auch die Sozialdemokraten über die wirklichen Hintergründe schweigen, die zum Kriegsausbruch geführt haben. Sie tun das gegen besseres Wissen, denn ihre Führung hat inzwischen Einsicht in die Akten nehmen können. Schlimm auch, dass der neue sozialdemokratische Kanzler und spätere Reichspräsident Friedrich Ebert die heimkehrenden Truppen mit dem Wort »im Felde unbesiegt« begrüßt und so die These Hindenburgs und Ludendorffs in den Augen der Öffentlichkeit bestätigt. Aber die Sozialdemokraten fürchten erneut als »Vaterlandsverräter« zu gelten und viele Parteimitglieder sind in ihrem Herzen nicht nur patriotisch, sondern auch national-konservativ. Friedrich Ebert zum Beispiel ist Monarchist geblieben, die Abdankung des Kaisers empfindet er als schmerzlichen historischen Einschnitt.
Die Gewalttaten der Freikorps, die zahlreichen »Fememorde«, denen »Verräter« und »Kommunisten« zum Opfer fallen, die tödlichen Attentate auf den bayerischen Ministerpräsidenten Eisner, den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1921) und den jüdischen Außenminister Walther Rathenau (1922), die ständigen ehrenrührigen Angriffe auf die Staatsführung der Republik lösen Gegengewalt und politische Instabilität aus. Eine besonders schädliche Rolle spielt in diesen Jahren die Reichswehr. Sie ist die Nachfolgerin der auf 100 000 Mann gestutzten kaiserlichen Armee. Unter dem Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, entwickelt sie sich zu einem »Staat im Staate«, der eigene, nicht republikanische Ziele verfolgt. Im März 1920 unternehmen rechtsextreme Gruppierungen unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Vaterlandspartei, Wolfgang Kapp, und mit Hilfe einiger Reichswehrverbände einen Putschversuch. Hans von Seeckt verweigert sich mit den Worten »Truppe schießt nicht auf Truppe« den Anordnungen der Regierung und geht nicht gegen die Putschisten vor. Das Kabinett muss nach Stuttgart fliehen. Erst ein von den Gewerkschaften ausgerufener Generalstreik zwingt die Aufständischen zum Rückzug. Seeckt bleibt im Amt und die Reichswehr wird ihre republikfeindliche Rolle weiter spielen.
Der Kampf um den Versailler Vertrag und die innenpolitischen Bürgerkriege, die permanente rechte Agitation und die wachsende
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