Die Geschichte der Deutschen
dagegen schon 1917 in seinem 14-Punkte-Programm maßvollere Friedensbedingungen zur Diskussion gestellt. Als er in Paris die unnachgiebige Haltung der Partner miterlebt, ziehen sich die USA enttäuscht aus den europäischen Querelen zurück. Ein schwerer diplomatischer Fehler, denn nun können Franzosen und Engländer ihre weit überzogenen Vorstellungen ungebremst in die Tat umsetzen. Die Deutschen haben sich eingebildet, in Versailles würde über Wilsons Vorschläge verhandelt. Enttäuschung und Wut wachsen, als sie merken, dass dies ein Irrtum ist.
Warum ist es ein unkluger Friedensvertrag, den die Alliierten in Versailles präsentieren? Der schon erwähnte Passus von der deutschen Alleinschuld am Kriegsausbruch ist faktisch falsch und macht es der deutschen Propaganda leicht, von einem »Friedensdiktat« zu sprechen. Die in dem Vertrag geforderten Reparationszahlungen – zunächst in ihrer Höhe unbegrenzt, 1920 dann auf 269 Milliarden Goldmark festgelegt – sind utopisch, es sei denn, Paris und London wollen den wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands herausfordern. Im Versailler Vertrag stimmt Deutschland der Abrüstung ihrer einst so mächtigen |206| Armee auf ein Hundertausend-Mann-Heer zu. Das Verbot, U-Boote, Kriegsschiffe über 100 000 Tonnen oder Kriegsflugzeuge zu besitzen, ist aus der Sicht Frankreichs zwar nicht ganz unverständlich, aber auch diese Bedingungen verfehlen ihren Zweck. Eine Wirtschafts- und Militärmacht wie Deutschland wird sie als nationale Schande empfinden. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, dann wird sie diese Bedingungen unterlaufen.
Die Gebietsverluste, die der Versailler Vertrag verlangt, sind groß. Ein Fünftel des Reiches geht verloren: selbstverständlich und zu Recht Elsass-Lothringen, aber auch Posen, Westpreußen, das Memelland, Danzig und sämtliche Kolonien. Durch – in ihrem Ergebnis umstrittene – Abstimmungen in der Bevölkerung muss Deutschland das Gebiet Eupen-Malmedy an Belgien, Nordschleswig an Dänemark und Oberschlesien an Polen abtreten. Das stärkt das ohnehin vorhandene Revanchedenken in Deutschland und führt zu neuen Minderheitenkonflikten in den betroffenen Gebieten.
So politisch fatal der Versailler Vertrag auch sein mag, fataler noch ist, was er im Gefühlsleben der Deutschen anrichtet. Denn wer sich gedemütigt fühlt, ist empfänglich für eine chauvinistische, antidemokratische Politik, die um jeden Preis auf Rache sinnt. Vergessen wird allerdings, dass die lautesten Kritiker des Vertrages gerade mal zwei Jahre vorher in Brest-Litowsk von Russland die Unterschrift unter einen nicht weniger einseitigen und maßlosen Friedensvertrag erpresst haben. Aber gerade sie werden immer wieder das Gefühl der »Schande von Versailles« schüren, um die Entwicklung zur Demokratie in der Weimarer Republik zu unterlaufen.
Als 1924 die Lage in Deutschland etwas ruhiger wird, beginnt Gustav Stresemann als deutscher Außenminister seine neue, auf Ausgleich und Gewaltlosigkeit beruhende Vertragspolitik gegenüber den Westmächten. Innerhalb von wenigen Jahren gelingt es ihm und den seine Politik unterstützenden Sozialdemokraten die alten Feindschaften abzubauen und Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in die Völkergemeinschaft zurückzuführen. Auch in der Reparationsfrage kommen sich die Regierungen in mehreren Konferenzen näher. Kurz vor Hitlers Machtantritt im Januar 1933 ist sie einvernehmlich gelöst. Diese Erfolge zeigen, dass eine Diplomatie des Vertrauens den Versailler Vertrag weitgehend neutralisiert hat. Sie relativieren auch das bis heute vielfach benutzte Argument, dieser an der Wiege der ersten deutschen Republik stehende Vertrag habe die deutsche Demokratie zerstört. Die Republik von Weimar ist an den Radikalen von rechts und später auch von links gescheitert und nicht an einem Vertrag.
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|207| Ein Tanz auf dem Vulkan
Um den ersten deutschen Regierungen gerecht zu werden, muss man sehen, vor welchen nahezu unlösbaren Problemen sie unmittelbar nach dem Waffenstillstand und in den kommenden vier Jahren stehen. So verlangen die Alliierten den sofortigen Rückzug der deutschen Armeen aus allen besetzten Gebieten. Mehrere Millionen Soldaten kehren in ein Land zurück, dessen innere Ordnung zusammengebrochen ist und das vor gewaltigen Versorgungsproblemen steht, die sich nun durch die hereinströmenden Soldaten enorm verschärfen. Die Wirren der Revolution fordern von der Regierung ständig Kompromisse und
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