Die Geschichte der Deutschen
mit der Staatsgewalt gerät. Durch eine Scheinheirat erlangt sie die deutsche Staatbürgerschaft, die ihr einen gewissen Schutz vor dem Zugriff der Geheimpolizei bietet. Gefängnisaufenthalt und Krankheit folgen. Rosa Luxemburg geht nach Deutschland und lehrt an der SPD-Parteischule marxistische Nationalökonomie |204| . 1914 wird sie wegen öffentlicher Anti-Kriegsreden zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Schon im September 1913 hat sie in Frankfurt am Main ihre Genossen gewarnt: »Bei einem eventuellen Krieg sollten die Arbeiter sich erst besinnen, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, auf ihre gleichgesinnten Brüder zu schießen.«
Mit Karl Liebknecht ruft sie den Spartakus-Bund ins Leben, außerdem gibt sie die Zeitschrift Die Internationale heraus. Nach einer Friedensdemonstration am 1. Mai 1916 auf dem Potsdamer Platz in Berlin muss sie erneut ins Gefängnis. In den Revolutionsmonaten von 1918/19 ist sie bis zu ihrer Ermordung Herausgeberin der Roten Fahne, des Parteiblattes der KPD, zu deren Gründungsmitgliedern sie gehört. Ihr Tod wird in rechten Kreisen, aber auch von Teilen des Bürgertums beifällig aufgenommen.
Die Sozialistin Rosa Luxemburg ist im Gegensatz zu fast allen ihren kommunistischen Parteifreunden zeitlebens eine Demokratin gewesen. »Freiheit ist immer nur die Freiheit des Andersdenkenden«, lautet der berühmteste Satz, der von ihr überliefert ist. Sie selbst setzt sich zwischen alle Stühle. 1918 spricht sie sich gegen die Parteidiktatur der russischen Bolschewisten aus und befürwortet in der Weimarer Republik gegen die Mehrheit der deutschen Kommunisten eine Beteiligung der Partei an den Wahlen zur Nationalversammlung. Rosa Luxemburg vertritt in den internen Parteidiskussionen eine Position der Gewaltlosigkeit. Erst beim Spartakus-Aufstand lässt sie sich angesichts einer extremen politischen Situation von der Mehrheit mitreißen.
Ihre Gegner im Lager der Konservativen und in der SPD haben sie noch lange nach ihrem Tod dämonisiert, sie als Predigerin von Gewalt und Terror dargestellt. Für die Sozialistische Einheitspartei (SED) in der DDR bleibt sie bis zuletzt eine ungeliebte Genossin aus den Frühtagen der deutschen Kommunisten. Ihre Gegnerschaft zu Lenin wird in der offiziellen Parteigeschichte nicht weniger unterschlagen als ihr demokratisches Grundverständnis. Auf den Gedenkveranstaltungen am Todestag, dem 15. Januar, sind alljährlich am Grab in Ostberlin steife Funktionärsreden zu hören. Von der Freiheit des Andersdenkenden ist dabei nicht die Rede. In der Spätphase der DDR aber werden diese Gedenkfeiern zu einem der ersten Foren des Widerstandes gegen das SED-Regime. Von den Stasi-Helfern schnell heruntergerissene Plakaten weisen auf die Pervertierung des Sozialismus der Rosa Luxemburg durch die DDR-Führung hin. Die Demonstranten werden abgeführt, ihre mutige Tat aber bleibt nicht wirkungslos.
|205| Als ob es nicht schon genug Probleme gibt, muss die Republik auch noch formell den Krieg beenden und einen Friedensvertrag abschließen, dessen Schatten ihre Existenz bis zum Ende verdunkelt. Die deutsche Delegation, geführt vom neuen Außenminister Graf Ulrich von Brockdorff-Rantzau, die im Februar 1919 nach Versailles reist, wird dort frostig empfangen. Hier wird nicht verhandelt, hier werden Bedingungen überreicht. Deutschland kann nur akzeptieren, oder es riskiert die Besetzung durch die alliierten Truppen. Die Frage, ob dieser Vertrag unterzeichnet werden darf oder nicht, führt im Land zu einer Zerreißprobe. Nicht kühler Verstand, sondern nationale Leidenschaften beherrschen die Diskussion. Die von dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann geführte Regierung hält den Vertrag für unannehmbar. Sie tritt am 20. Juni zurück. Acht Tage später unterzeichnet Deutschland das »Friedensdiktat« unter Protest.
Es ist ein politisch dummer Vertrag, den die Alliierten dem besiegten Deutschland aufzwingen. Er bringt nicht Frieden, sondern Streit. Treibende Kraft aufseiten der Sieger ist die französische Politik. Zweimal innerhalb von 50 Jahren hat Deutschland Frankreich zum Schlachtfeld gemacht. Nie mehr, so schwören die Politiker und die Meinungsmacher in den Zeitungen, soll es dem aggressiven Nachbarn möglich sein, Frankreich anzugreifen. Aus Erfahrung gespeiste Ängste, aber auch Hass und nationaler Chauvinismus beherrschen das Denken in Paris. England will ebenfalls einen harten Vertrag. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hat
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