Die Geschichte der Deutschen
Stroh gefüllten harten Holzbetten. Hunger, Krankheit und körperlicher Verfall gehören zum Alltag des Lagerlebens. Das kleinste »Vergehen« wird mit drakonischen Strafen geahndet – Nahrungsmittelentzug, stundenlanges Exerzieren in eisiger Kälte oder in glühender Sommerhitze, Einzelhaft in fensterlosen Bunkerzellen, Stockhiebe, Erhängen oder Erschießen. Der Kommandant des KZ Dachau macht gegenüber seinen Untergebenen die Bemerkung: »Jegliches Mitleid mit Staatsfeinden ist eines SS-Mannes unwürdig.«
Die Strategie ist ebenso skrupellos wie brutal: Wer sich von den Versprechungen der Nazi-Wahlkämpfer nicht einwickeln lässt, soll aus Angst vor Repressalien den Mund halten oder er wird weggesperrt. Bis zum 5. März läuft die Propaganda auf Hochtouren. Den gesamten Staatsapparat setzen die Nazis für ihre Zwecke ein. Mit Terror und behördlichen Schikanen behindern sie die öffentlichen Auftritte der linken und liberalen Parteienvertreter. Viele Funktionäre der KPD sind schon in Haft. Trotz dieser massiven Drohkulisse gelingt es Hitler nicht, die absolute Mehrheit der Wähler für sich zu gewinnen. Am 5. März erhält die NSDAP 43,9 Prozent. Nur gemeinsam mit Hugenbergs Deutschnationalen kommt die Regierung knapp über 50 Prozent. Die Sozialdemokraten und die Kommunisten erringen immerhin zusammen 30,6 Prozent der Stimmen. Die Parteiführung des Zentrum ist zwar in der Endphase der Republik auf ein autoritäres Staatsverständnis umgeschwenkt, aber der deutsche Katholizismus steht Hitler anfangs skeptisch bis ablehnend gegenüber. So kommt die Zentrums-Partei auf 11,2 Prozent der Stimmen. Knapp 42 Prozent der Wähler haben sich also in der letzten halbwegs freien Wahl von Hitlers Propagandaschlacht und dem beginnenden Terror nicht überzeugen lassen. Der enttäuschte Kanzler reagiert mit verschärfter Repression.
Am 21. März erlebt das brandenburgische Potsdam ein spektakuläres Schauspiel. Hitler inszeniert einen seiner berechnenden und erfolgreichen Auftritte, die auch die Skeptiker vom Führer überzeugen sollen. Unter dem Jubel einer großen Zuschauermenge und eingebettet in ein Meer von Hakenkreuzfahnen ziehen Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler in die Garnisonskirche ein. Der Ex-General und der Ex-Gefreite reichen sich die Hand und verbeugen sich vor dem Sarg Friedrichs des Großen: Das alte Preußen, vertreten durch Hindenburg, und der »revolutionäre« Nationalsozialismus versöhnen |228| sich. Kaum etwas anderes hat die Führung der Reichswehr, den ostelbischen Adel und die preußisch-nationalen Kreise mehr für Hitler eingenommen als diese Groteske.
Schon 18 Tage nach der Wahl unternimmt Hitler einen weiteren Schritt in Richtung Alleinherrschaft: Er legt dem Reichstag ein »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« vor. Dieses so genannte »Ermächtigungsgesetz« gibt der Reichsregierung Vollmachten, die es ihr ermöglichen, selbst Bestimmungen der Verfassung unbeachtet zu lassen. Die entscheidende Abstimmung am 23. März gehört zu den dunkelsten Stunden der politischen Geschichte Deutschlands. Alle Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokraten stimmen dem Gesetz zu und legen damit die ihnen vom Volk auf Zeit verliehene Macht in die Hände Hitlers. Deutschland ist eine Diktatur.
Während der Abstimmung besetzt die SA die Türen zum Plenarsaal und platziert ihre Leute auf der Zuschauertribüne. In seiner Rede droht Hitler den gewählten Volksvertretern unverfroren mit Gewaltaktionen, falls sie das Gesetz ablehnen: Es »bietet den Parteien des Reiches die Möglichkeit einer ruhigeren Entwicklung und einer sich daraus in Zukunft anbahnenden Verständigung. Die Regierung ist aber ebenso entschlossen und bereit, die Bekundung der Ablehnung und damit die Ansage des Widerstandes entgegenzunehmen. Mögen Sie, meine Herren, nunmehr selbst entscheiden über Frieden oder Krieg.« Der SPD-Fraktionsvorsitzende Otto Wels hält vergeblich, aber mutig dagegen: »Aus einem Gewaltfrieden kann kein Segen kommen; im Innern erst recht nicht. Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht ... Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz bestimmt ... Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten.«
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Gleichschaltung, Terror und
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