Die Geschichte der Deutschen
Aufrüstung
Kommunistische Abgeordnete sitzen damals schon nicht mehr im Reichstag. Die KPD ist bereits verboten. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Am 31. März wird das Gesetz zur »Gleichschaltung der Länder« veröffentlicht, das Deutschland zu einem Zentralstaat macht. Gauleiter herrschen nun in den einzelnen Regionen. Sie haben die Befehle der Parteizentrale in Berlin umzusetzen. Für den |229| 1. April wird ein »Judenboykott« ausgerufen. Es ist die erste reichsweite antijüdische Aktion des Regimes. Die NSDAP fordert die Bevölkerung auf, an diesem Tag jüdische Geschäfte, Anwaltbüros und Arztpraxen zu meiden. Vor den Geschäften postieren sich uniformierte SA-Mitglieder, auf viele Schaufenster malt der Nazi-Mob Davidsterne und antisemitische Aufrufe. »Kauft nicht bei Juden!« In den Krankenhäusern werden jüdische Ärzte von eindringenden Nationalsozialisten aufgefordert, sofort ihre Arbeit einzustellen. In ländlichen Gegenden kommt es zu Plünderungen und vereinzelt zu Gewalttaten.
Die Reaktion der Bevölkerung ist unterschiedlich. Viele Menschen empfinden Scham angesichts des pöbelhaften Vorgehens der SA und der Not ihrer jüdischen Mitbürger. Öffentliche Missfallenskundgebung bleiben aber die Ausnahme. Kaum jemand wagt es, seine Stimme zu erheben. Gestoppt wird die Aktion, die eigentlich bis zum 4. April dauern soll, weil im Ausland scharfe Kritik laut und der Boykott deutscher Exportwaren angedroht wird.
Am 2. Mai besetzt die SA die Gewerkschaftshäuser und zerschlägt die Organisation der Freien Gewerkschaften. Am 10. Mai gründen die Nazis die Deutsche Arbeitsfront, in die alle ehemaligen Gewerkschaftsmitglieder zwangseingegliedert werden. Am gleichen Tag brennen vor deutschen Universitäten große Scheiterhaufen. Unter der begeisterten Teilnahme von Studenten und Professoren deklamieren die Redner »12 Thesen wider den undeutschen Geist«. Bücher und Schriften bedeutender deutscher Autoren werden in die Flammen geworfen. Darunter sind Werke von Heinrich Heine, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Erich Maria Remarque, Erich Kästner, Arnold Zweig, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Karl Marx, Albert Einstein und Sigmund Freud.
Dann wird die Justiz in der Deutschen Rechtsfront gleichgeschaltet. Die bürgerlichen Parteien beschließen ihre Selbstauflösung, und die SPD wird am 22. Juni verboten. Die Parteiführung flieht ins Ausland. Wer bleibt, wird verhaftet. Im Juli unterbindet ein Gesetz die Neubildung von Parteien. Deutschland ist zum Einparteienstaat geworden. Alfred Hugenberg, der großspurig versprochen hatte, Hitler zu »zähmen«, verlässt am 29. Juni das Kabinett.
Auch die Jugendlichen entgehen der Gleichschaltung nicht. Im Gegenteil, ihr gilt Hitlers besonderes Augenmerk. Schon am 17. Juni übernimmt Baldur von Schirach die Kontrolle über alle Jugendverbände. In der Hitler-Jugend (HJ) verstehen die Nazis es geschickt, sich auf die romantischen Ideale einzustellen: Zeltlager und Abenteuerspiele, Sport und paramilitärische Übungen, Wanderungen und Liederabende, ein zackiger Umgangston und Kameradschaftsgeist. Welch ein Zufall, dass die HJ-Veranstaltungen oft zeitgleich mit den Pfadfinderoder |230| Ministrantentreffen stattfinden. Die Kinder und Jugendlichen lassen sich verleiten. So wird die HJ zur erfolgreichen Kaderschmiede für den ideologisch geschulten Nachwuchs des Regimes. Mitte 1939 hat sie 8,7 Millionen Mitglieder. Viele von ihnen werden, durch Lagerfeuerromantik auf Kampfbereitschaft gedrillt, in den Zweiten Weltkrieg ziehen.
Bald gibt es den Bund Deutscher Mädel (BDM), die NS-Frauenschaft und den »Reichsnährstand«, die Bauern-Organisation. Die Industrie, der Handel, das Handwerk – kein Bereich, der nicht von der NSDAP kontrolliert wird. Das gilt auch, indirekt, für die katholische Kirche. Am 20. Juli gelingt Hitler ein diplomatischer Meisterstreich. Berlin und der Vatikan unterzeichnen eine Vereinbarung, ein Reichskonkordat, in dem der Kirche einige Rechte eingeräumt werden, beispielsweise bei der Ämterbesetzung, der Ausbildung der Priester oder beim katholischen Schulunterricht. Es ist der erste bedeutende außenpolitische Vertrag, den das Regime abschließt. Er signalisiert den skeptischen Katholiken in Deutschland, dass der Papst die Nationalsozialisten akzeptiert. Ein großer innenpolitischer Erfolg für die Diktatur.
Zwei Jahre braucht Hitler, um die deutsche Gesellschaft »gleichzuschalten«. Nun ist er nicht mehr nur in der Partei, sondern auch im
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