Die Geschichte der Deutschen
versuchen, nach außen hin eine gesamtdeutsche Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten, arbeiten auch sie längst hinter den Kulissen an einem deutschen Staat – nach sowjetischem Vorbild. Die ersten Schritte sind hier eine Bodenreform und eine Welle von Enteignungen. Die Bodenreform startet 1945 unter der Parole »Junkerland in Bauernhand«. Insgesamt 3,3 Millionen Hektar werden den Besitzern entschädigungslos genommen, ein Drittel des Bodens geht in Staatsbesitz über. Im Oktober 1945 verfügen die sowjetischen Besatzer die Beschlagnahmung des Eigentums der NSDAP, der Wehrmacht und der Betriebe von »Kriegsverbrechern |266| und Naziaktivisten«. Bis 1948 werden etwa 10 000 Industriebetriebe enteignet. Die industrielle Produktion liegt fortan in den Händen der »Volkseigenen Betriebe«. Parteien und auch Wahlen werden zugelassen, stehen allerdings unter scharfer Kontrolle. Moskau unterstützt die Kommunistische Partei mit allen Mitteln. Trotzdem muss Ulbricht bei den Landtags- und Kommunalwahlen in der Sowjetzone rasch erkennen, dass die Partei weit davon entfernt ist, Mehrheiten zu erringen. Also führt er die Mehrheit auf anderem Wege herbei. 1946 zwingt er die Sozialdemokraten und deren Vorsitzenden Otto Grotewohl zu einer Vereinigung mit der Kommunistischen Partei. Die neue Gruppierung nennt sich Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die anderen Parteien – die Ost-CDU, die Liberale Deutsche Partei (LDP) oder die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NDPD) – verlieren ihre Rolle als eigenständige Oppositionsparteien und werden in den »Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien« hineingezwungen. Damit gibt es in einem Teil Deutschlands bald wieder einen Einparteienstaat.
Zuerst empfinden viele Menschen den Sozialismus, wie er angeblich in der Sowjetzone geplant und entwickelt wird, als notwendige Antwort auf den Nationalsozialismus. Viele sozialdemokratische, kommunistische oder parteilose linke Exilanten kehren nach Deutschland zurück und sehen ihre Zukunftsvisionen eher in der Sowjetzone als bei den Briten, Franzosen oder Amerikanern erfüllt. Allgemein herrscht in Europa eine wachsende Skepsis gegenüber den kapitalistischen Wirtschaftssystemen. In Frankreich erringt die kommunistische Partei große Siege und in England hat die Arbeiterpartei die Regierung übernommen. Die deutschen Kommunisten versuchen diese Stimmung zu nutzen. Aber Ulbricht und seine Genossen verlieren sehr schnell ihre Glaubwürdigkeit. Schon früh wird durch zahlreiche Verhaftungen, durch die schrecklichen Zustände in den Gefangenenlagern – die wie in Buchenwald zum Teil in ehemaligen KZ entstehen – und durch die Zwangsenteignungen sichtbar, welchen Weg die neuen Machthaber im Osten einschlagen. Dabei sind sie nicht frei in ihrem Handeln, sondern stehen bis kurz vor dem Ende des Staates, den sie dann gründen, unter der Befehlsgewalt der Sowjetunion.
Mit jedem Schritt, den die Westzonen auf die Gründung der Bundesrepublik zugehen, vertieft sich die Teilung Deutschlands. Die Sowjetunion antwortet mit einer großen »Volkskongress-Bewegung«, die sie in der Ostzone inszenieren lässt. So erhält auch Ulbricht – parallel zur Arbeit des Parlamentarischen Rates im Westen – den Auftrag, eine eigene Verfassung und die Etablierung eines eigenen Staates vorzubereiten. Am 7. Oktober 1949 – fünf Monate nach der Verabschiedung |267| des Grundgesetzes im Westen – proklamiert der Deutsche Volksrat die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Staatspräsident wird der Kommunist Wilhelm Pieck, Ministerpräsident der ersten Regierung der ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl und der mächtige Mann im Hintergrund bleibt Walter Ulbricht. Schon vor der Staatsgründung haben sich viele Zonenbewohner in Richtung Westen aufgemacht.
Konrad Adenauer (1876–1967)
In der Bundesrepublik rückt mit der Verkündigung des Grundgesetzes ein Mann in den Mittelpunkt der deutschen Politik, der in den kommenden knapp 20 Jahren die Geschicke des Landes lenken wird: Konrad Adenauer. Er wird am 15. September 1949 mit einer Stimme Mehrheit, und zwar seiner eigenen, zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Zu diesem Zeitpunkt ist Adenauer bereits 73 Jahre alt. Fast alle glauben, er sei nur ein Übergangskanzler. Er selbst hat das seinen Parteifreunden auch so signalisiert, um sich die Wahl zu sichern. Doch erst am 15. Oktober 1963, also 14 Jahre später, wird der 87-Jährige Abschied von der so geliebten Macht
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