Die Geschichte der Deutschen
Flüchtlinge. Im August 1952 verabschiedet der Bundestag das Lastenausgleichsgesetz, das für Millionen Familien, die im Osten alles verloren haben, eine wichtige Starthilfe bringen wird.
Anfang der fünfziger Jahre greifen die weltpolitischen Ereignisse erneut in die deutschen Entwicklungen ein. Am 25. Juni 1950 überschreiten Einheiten der nordkoreanischen Armee den 38. Breitengrad, um die geteilte Halbinsel gewaltsam |271| unter kommunistischer Herrschaft zu vereinigen. Die USA schicken Truppen und China greift ein. Der Korea-Krieg beginnt. Die Rüstungspolitik in Amerika setzt eine Hochkonjunktur in Gang, die der deutschen Exportwirtschaft zugute kommt. Hinzu tritt eine allgemeine Liberalisierung des Welthandels. Auch sie öffnet der deutschen Industrie neue Märkte. Das bald so bestaunte »Wirtschaftswunder« setzt ein. Nichts wird die westdeutsche Demokratie in den kommenden Jahren stärker stabilisieren als dieser Aufschwung. Er wird Adenauers Politik in den Augen der Wähler bestätigen.
Die Bundesrepublik ist kein souveräner Staat. Ein Besatzungsstatut, das am 21. September 1949 in Kraft tritt, garantiert den drei Westmächten in Fragen der Militarisierung oder der inneren Sicherheit ein starkes Einspruchsrecht. Alle Bonner Gesetze müssen von ihnen gegengezeichnet werden. Westberlin liegt zudem mitten in der Sowjetzone. Der militärische Schutz der Amerikaner ist für Bonn lebenswichtig. So ergeben sich für Adenauer zwei vorrangige außenpolitische Ziele: Die Rückgewinnung der vollen Souveränität und die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Sicherheitssystem.
Die Schritte dahin geht der Kanzler konsequent und gegen den Widerstand der Opposition. Am unversöhnlichsten zeigt sich Frankreich. Am 8. Mai 1950 aber schlägt der französische Außenminister Robert Schuman in einem handschriftlich an Adenauer verfassten Brief vor, beide Länder sollten ihre Stahl- und Kohleproduktion zusammenlegen und einer gemeinsamen obersten Aufsichtsbehörde unterstellen. Paris will sich damit eine Mitkontrolle über die Schwerindustrie im Ruhrgebiet erhalten. Adenauer erkennt sofort die Chance, das schlechte Verhältnis zu Frankreich zu verbessern und das Ruhrstatut zu beenden, das bislang die deutsche Souveränität über die Stahl- und Kohleindustrie einschränkt. Für den Kanzler ist es der erste Schritt, sich dem inneren Kreis der Westmächte als gleichberechtigter Partner zu nähern. Am 18. April 1951 unterzeichnen Westdeutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder den Vertrag über die »Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl«. Diese so genannte Montanunion bildet die Kernzelle der Europäischen Union, die in den kommenden Jahrzehnten entsteht. Die SPD verharrt dagegen in einer immer starreren Oppositionshaltung und lehnt die Zustimmung zum Vertrag ab. Schumacher wettert, das Abkommen sei »konservativ, klerikal und kapitalistisch«.
Wohl niemand in Deutschland kann sich 1950 vorstellen, dass die Bundesrepublik je wieder eine eigene Armee besitzen wird. Ein Irrtum. Der Kalte Krieg eskaliert. Die Sowjetunion startet ihren ersten erfolgreichen Atombombenversuch. In Korea ist der kalte zu einem heißen Krieg geworden. Im britischen |272| Unterhaus fordert Churchill einen Wehrbeitrag der Deutschen. Adenauer, an sich alles andere als ein Militarist, hat schon Ende 1949 in einem Interview mit einer US-Zeitung durchblicken lassen, Bonn sei bereit, eine Armee aufzubauen und sie an die Seite der Westmächte zu stellen. Es beginnt eine jahrelange, mit großer Leidenschaft geführte Debatte. Die Menschen gehen auf die Straße, weil sie genug von Aggression, Krieg und Zerstörung haben. Die »Nie-wieder-Krieg«-Bewegung erhält großen Zulauf und die SPD glaubt, das große innenpolitische Thema für den nächsten Wahlkampf gefunden zu haben.
Wieder erweist sich Adenauer als weitsichtiger Stratege. Am 8. Februar 1952 fällt der Bundestag gegen die Stimmen der SPD einen Grundsatzbeschluss, der zur Gründung der Bundeswehr führt. 1955 wird Adenauer die ersten Bundeswehreinheiten in Andernach am Rhein besuchen. Die Gegengabe der westlichen Alliierten ist beachtlich: Auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz wird im Herbst 1954 die Souveränität der Bundesrepublik und der Eintritt Bonns in die NATO verkündet. So verständlich angesichts des noch nicht einmal zehn Jahre zurückliegenden Krieges der Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die Wiederaufrüstung auch ist: Nur der NATO-Beitritt
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