Die Geschichte der Deutschen
zukünftige Wirtschaftsordnung erarbeiten soll. Sein Kopf ist der Nationalökonom Ludwig Erhard.
Am 21. Juni 1948 erfolgt einer der wichtigsten Schritte für die wirtschaftliche Erholung und den politischen Neuaufbau Deutschlands: die Währungsreform. Die Reichsmark wird durch die Deutsche Mark ersetzt. Jedermann erhält eine »Kopfquote« von 40 Mark, einige Monate später weitere 20 Mark. Am nächsten Tag entdecken die verblüfften Stadtbummler ein bis dahin unvorstellbares Warenangebot. Die Schaufenster sind voll. Zwar haben die meisten Deutschen nicht sehr viel Geld, aber die Mangelwirtschaft ist sozusagen über Nacht verschwunden. Die Geldumstellung trifft die Sparer allerdings hart und begünstigt die Besitzer von Häusern und Grundstücken, Aktien oder gehorteten Konsumgütern. Es dauert also noch einige Zeit, bis der Konsumrausch der Nachkriegsjahre seinen Beitrag zum Wirtschaftswunder leistet.
Der Konflikt mit der sowjetischen Führung spitzt sich zu. Stalin ist sich bewusst, dass die Währungsreform die Abkopplung der Sowjetzone vom westlichen Teil des Landes nach sich ziehen wird. Er verlangt von den Westmächten, Westberlin von der neuen Währung auszuschließen. Als diese ablehnen, sperren die Sowjets am 24. Juni alle Land- und Wasserwege, die vom Westen in die geteilte Stadt führen. Die Berliner sind von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Sie können noch nicht einmal mehr zu den Bauern aufs Land fahren. Die Amerikaner und Engländer antworten bereits zwei Tage später mit einer logistisch einmaligen Aktion auf die Blockade. Ununterbrochen landen die »Rosinenbomber« auf dem Flugplatz Tempelhof und bringen der Zivilbevölkerung Lebensmittel, Rohstoffe und Brennmaterialien. In den 462 Tagen der Berliner Blockade transportieren rund 380 britische und amerikanische Flugzeuge in 277 264 Flügen fast 2 Millionen Tonnen Waren nach Westberlin. Am 12. Mai 1949 hebt Stalin die Blockade wieder auf. Kaum etwas hat den Westalliierten mehr Sympathien in der deutschen, besonders in der Berliner Bevölkerung eingebracht als die Luftbrücke.
Am 8. Mai 1949 ist es dann so weit. Der Parlamentarische Rat verabschiedet mit Mehrheit das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Der Westen des Landes hat nach 200 Jahren wieder den Anschluss an die politischen |265| Entwicklungen seiner Nachbarn gefunden. Die BRD ist eine parlamentarische Demokratie, ausgerichtet auf die Ideale, Freiheits- und Menschenrechtspostulate der amerikanischen und französischen Revolutionen. Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches gewinnen die ersten 20 Artikel, die so genannten Grundrechte, eine besondere Bedeutung. Sie garantieren die Bürgerrechte gegenüber dem Staat. Die Bundesrepublik ist föderalistisch organisiert. Die Länder haben über den Bundesrat ein wichtiges politisches Mitspracherecht. Der Bundestag wählt den Kanzler. Sein Sturz ist nur möglich, wenn die Mehrheit für einen neuen Regierungschef gesichert ist. Der Bundespräsident übernimmt eine repräsentative Rolle und ist im Vergleich zu den früheren Oberhäuptern ein politisches Leichtgewicht. Man hat aus den Weimarer Fehlern gelernt. Die Wirtschaftsordnung des neuen Staates ist liberal und lehnt sich an das amerikanische Wirtschaftssystem an. Markt und Wettbewerb, freie Preisbildung und eine ausgewogene Kräftebalance zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bilden den Kern. In den kommenden Jahren wird das marktwirtschaftliche Prinzip mit einer Sozialgesetzgebung angereichert, weshalb bald alle Welt nicht ohne Bewunderung von der »sozialen Marktwirtschaft« spricht. Eine gewichtige Rolle zum Schutz der Demokratie spielt überdies das Bundesverfassungsgericht. Allerdings ist das Grundgesetz nach dem Willen ihrer Schöpfer eine »provisorische« Verfassung, deren endgültige Ausformulierung erst erfolgen soll, wenn alle Bürger, auch die der Sowjetzone, mitentscheiden können. Diese Vision aber ist vorerst in weite Ferne gerückt.
Der Westen hat Tatsachen geschaffen, die die Machthaber im Osten nicht ignorieren können. Die Verlierer der Entwicklung sind die rund 16 Millionen Deutschen in der Sowjetzone. Schon in den letzten Kriegstagen hat Stalin eine Gruppe deutscher Kommunisten aus dem sowjetischen Exil nach Berlin geschickt. Unter Leitung des ehemaligen sächsischen KPD-Reichtagsabgeordneten Walter Ulbricht sollen sie einen sozialistisch ausgerichteten »Arbeiter- und Bauernstaat« aufbauen. Während Moskau und die Kommunistische Partei noch
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