Die Geschichte der Deutschen
seinen Biografen Einhard. Sein Erneuerungswille erfasst alle Bereiche des kulturellen Lebens und geht als »karolingische Renaissance« in die Geschichte ein. »Obwohl gutes Tun besser ist als gutes Wissen«, heißt seine Maxime, »geht das Wissen doch dem Tun voraus.« Karl begründet die Hofschule, aus der bedeutende Elfenbein- und Goldschmiedearbeiten, Handschriften und Buchmalereien hervorgehen. Eine klare einfache Schrift entsteht: die karolingische Minuskel, die später das Vorbild für unsere Druckschrift liefert.
Otto der Große und alle nachfolgenden Kaiser setzen die karolingische Tradition fort. Neben dem Kirchenbau gilt dies besonders für das Bildungssystem sowie für die Miniaturmalerei, die die liturgischen Bücher und Evangeliarien zu kleinen Kunstwerken macht. In den Klosterzellen entstehen in mühsamer und langwieriger Arbeit hochwertige Bibel- und Buchabschriften, die zum bedeutenden kulturellen Erbe des Mittelalters zählen. Überhaupt sind die Klöster ein Hort der Bildung und der Kultur. In ihren Kräutergärten und Rezepturen tradieren die Mönche das heilkundliche Wissen. Die mittelalterliche Scholastik lässt die geistlichen Gelehrten eine Brücke schlagen zwischen dem christlichen Glauben und der antiken Philosophie. Die ersten Universitäten werden Ende des 12. Jahrhunderts in Paris, Oxford und Bologna gegründet. Unter dem übergeordneten Dach der Theologie, Jurisprudenz und Medizin lehrt man die septem artes liberales – die sieben freien Künste Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Ohne die mittelalterliche Gelehrsamkeit wäre es den Humanisten nicht möglich gewesen, die inzwischen vergessenen Schriften der antiken Denker Platon, Aristoteles oder Seneca wiederzuentdecken. Die Klosterbibliotheken und die ersten Universitäten, die wenn auch noch zaghafte Entwicklung der neuen, »nationalen« Schriftsprachen und vor allem eine erste »nationale« Literatur, die an den Höfen entsteht – das sind nicht zu überschätzende zivilisatorische Errungenschaften des Mittelalters, die weit in die Neuzeit hineinwirken.
Für jedes Volk besitzt vor allem die gemeinsame Sprache einen starken Identifikationsfaktor |36| . Die Entwicklung einer Volkssprache ist nicht der einzige, aber doch ein wichtiger Hinweis auf die Herausbildung einer eigenen Nation. Bis allerdings aus dem Reich der Ostfranken ein deutscher Staat, ja sogar eine einheitliche deutsche Sprache und deutsche Kultur hervorgeht, ist es ein langer Weg, der weit über das Mittelalter hinaus führt. Das Wort »Deutsch« (theodiscus von theoda, »das Volk«) bezieht sich über Jahrhunderte stets auf die Sprache: Gemeint ist dabei die Volkssprache in Abgrenzung zum Lateinischen als Sprache der Kirche und der Gelehrten, aber offenbar auch schon zu den romanischen Sprachen. Erst ab dem späten 11. Jahrhundert wird der Name der Sprache dann nach und nach auch auf Menschen, ein Volk und schließlich ein Land übertragen.
Nach unserem heutigen Wissen hat Ludwig im 9. Jahrhundert eine von vielen althochdeutschen Mundarten gesprochen, die sich erheblich voneinander unterscheiden. Dass sich Bayern, Sachsen und Niederdeutsche kaum verständigen können, sobald sie Dialekt sprechen, ist demnach kein neuzeitliches Phänomen. Denn das, was wir unter Hochdeutsch verstehen, entstand aus verschiedenen germanischen Dialekten – und diese Entwicklung nimmt damals gerade erst ihren Anfang. Die Germanisten teilen die Geschichte unserer Sprache in verschiedene Abschnitte ein. Auf die Zeit des Althochdeutschen vom 8. bis zum 11. Jahrhundert folgt mit dem Mittelhochdeutschen die »Blüte« der höfischen Literatur. Dazu gehören die Liebesgedichte der Minnesänger um Walther von der Vogelweide (der vermutlich einen niederösterreichischen Dialekt spricht) ebenso wie die Ritterromane eines Hartmann von Aue (der Alemannisch dichtet) oder Wolfram von Eschenbach (der Fränkisch schreibt). Das Nibelungenlied gilt gemeinhin als eines der ältesten und zugleich berühmtesten deutschen Sprachdenkmäler. Es stammt gleichfalls aus dieser Epoche. Aufgrund seiner sprachlichen Besonderheiten können wir davon ausgehen, dass ein Schreiber im Donaugebiet es niedergelegt hat.
Und wieder ist es keine deutsche, sondern vielmehr eine deutsch-französische, wenn nicht gar eine europäische Geschichte. Zur etwa selben Zeit entstehen dort, wo heute die französischen Staatsgrenzen verlaufen, die Lyrik der Troubadoure und die höfischen Romane
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