Die Geschichte der Deutschen
gefertigt worden sind. Kaum einer, der unter den fürchterlichen körperlichen Qualen nicht alles zugibt, was ihm von seinen Peinigern vorgeworfen wird, jeden Verrat begeht, jede auch noch so wahnwitzige Anschuldigung gegen Nachbarn oder Familienmitglieder ausspricht. Wer diese Tortur überlebt, ist für sein Leben gezeichnet. Bis in das 18. Jahrhundert hinein bleibt die Folter ein offizielles Befragungsinstrument der Justiz.
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Ottonen und Salier – Die ersten »deutschen« Kaiser
Karl der Große hat das Frankenreich geeint; seine Nachkommen hätten es durch die Familienfehden fast zerstört – wäre da nicht eine neue Dynastie auf den Plan getreten: die der Ottonen. Auf Ludwig das Kind folgt zunächst ein Konradiner. Franken und Sachsen wählen 911 den fränkischen Herzog Konrad in Forchheim zum neuen König. Auch die Schwaben und die Bayern erkennen den neuen Herrscher an. Seine Wahl hängt wie die vieler seiner Nachfolger ganz entscheidend vom Votum der wenigen großen Adelsfamilien des Reiches ab. Das ist neu und 200 Jahre später wird den Päpsten nur noch mitgeteilt, wem es in Deutschland gelungen ist, die Mehrheit der Fürsten für seine Königswahl zu gewinnen.
Trotz der Abhängigkeit von den Stammesherzögen versucht Konrad I. im Bündnis mit dem Klerus deren wachsende Macht einzugrenzen. Doch er ist immer wieder neuen Konflikten ausgesetzt. In seinen Herrscherjahren nimmt der Jahrhunderte währende Kampf der Ostfranken und Westfranken um den Besitz der Grenzlandschaften Lothringen und Elsass seinen Anfang. Mit seinem Nachfolger Heinrich I., Mitglied der bedeutenden Familie der Liudolfinger, beginnt die Königsherrschaft der Sachsen oder, wie sie die Historiker später nennen werden, der Ottonen. Ironie der Geschichte: Rund 120 Jahre nach der Unterwerfung und Missionierung der Sachsen und ihres Stammesführers Widukind durch den Karolinger Karl den Großen wird einer von ihnen zum späten Erben des Siegers gewählt.
Heinrich I. ist von den nationalbewussten Historikern im 19. und ihren nationalistischen Kollegen im 20. Jahrhundert gerne als der König charakterisiert |41| worden, mit dem Deutschlands Geschichte beginnt. Dies vor allem, weil es ihm gelungen sei, mit der Einverleibung Lothringens, mit seinem Sieg über die Ungarn 933 und der Befestigung der Ostgrenzen durch seine gepanzerten Reiterheere das »deutsche Königreich« zu etablieren und zu sichern. Genau 1 000 Jahre später übernimmt Adolf Hitler, ein die Geschichte völlig einseitig deutender Emporkömmling, die Macht in Deutschland. Er und seine Anhänger feiern den ersten Sachsenkönig im ostfränkischen Reich als Begründer Deutschlands und ruhmreichen Kämpfer gegen die angeblich immerwährende slawische Bedrohung, der das von den Nationalsozialisten ausgerufene Dritte Reich standzuhalten habe.
Ein beredtes Beispiel für den Missbrauch der Geschichte zum Nutzen der eigenen Politik ist diese nationalistische Propaganda der Nazis. Sie soll ihre Planung und spätere Durchführung eines Vernichtungskrieges gegen die vermeintlichen »slawischen Untermenschen« im Osten in eine historische Tradition stellen, die es in dieser Form nie gegeben hat. Heinrich I. bleibt ein Herrscher, der sich noch ganz in der Nachfolge des fränkischen Königtums sieht. So wie Ludwig seinen Beinamen »der Deutsche« nicht selbst erfunden hat, empfindet sich Heinrich nicht als »deutscher« König, sondern als »rex Francorum orientalium«.
Wann aber beginnt nun wirklich die Geschichte der Deutschen? Im west und im ostfränkischen Reich zeigen sich in den ottonischen Jahren neben vielen Gemeinsamkeiten allmählich auch Eigenentwicklungen, die es zulassen zumindest von einem ostfränkisch-deutschen Herrschaftsverband zu sprechen. Unter diesem Kaisergeschlecht beginnt ganz zögernd und vielfach den Völkern noch gar nicht bewusst die deutsche Geschichte. Wo genau aber dieser Zeitpunkt zu bestimmen ist, bleibt offen. Erst im 11. Jahrhundert sprechen die Dokumente ganz selbstverständlich von einem »deutschen Königreich«.
Diese vergleichsweise späte und komplizierte Findung der Deutschen zu einer gemeinsamen Geschichte bleibt für die Zukunft Europas nicht ohne Folgen. Denn selbstbewusst und störrisch halten die Franken und Bayern, die Schwaben und Alemannen, die Westfalen und Rheinländer, die Friesen und Sachsen, die Thüringer und Hessen, später die Österreicher und Preußen noch an ihrer Eigenständigkeit fest, als sich in der
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