Die Geschichte der Deutschen
Grundherren. Während es den Untertanen unter Androhung schwerster Strafen verboten ist zu wildern, verwüsten die adligen Jagdgesellschaften rücksichtslos die Felder ihrer Bauern. Die Jagd erfolgt auf Pferden und in den dicht bewachsenen Wäldern endet das Leben manches Königs oder Herzogs bei der verwegenen Verfolgung von Ebern, Bären oder Hirschen.
Es gibt in den mittelalterlichen Gesellschaften ein bescheidenes soziales Netz, das innerhalb der Familien und der Dorfgemeinschaften oder durch die Arbeit der Klostergemeinschaften geregelt ist: Fürsorge für die Alten und Kranken, die Arbeitslosen und die Waisen. In den großen Sälen der Hospitäler oder Armenheime finden die glücklicheren unter den »armen Leuten« Schutz und Hilfe, obwohl das Überleben dort, da man noch keine Hygiene kennt, eher Glückssache ist. Doch auch das Mittelalter hat gesellschaftliche Außenseiter. Räuberbanden ziehen durch das Land und werden vielfach zu einer Plage. Sänger und Gaukler treten an den Höfen oder bei den Erntefeiern der Bauern auf. Bettelmönche gehören zum Alltagsbild der mittelalterlichen Welt, die in einfachen Gewändern ohne Hab und Gut durch die Dörfer wandern und die Aussicht auf ein besseres Leben im Jenseits versprechen.
Die Adligen residieren in ihren wehrhaften Burgen und Schlössern. Kampfspiele und die Jagd bilden neben den mehr oder weniger regelmäßigen Kriegszügen, zu denen ihr König oder Herzog sie rufen, ihre Hauptbeschäftigung. |39| Große Sauf- und Essgelage gibt es auf den Adelssitzen, rau und schlicht ist das Denken ihrer Bewohner. Als Gerichtsherren herrschen sie absolut und meist recht brutal über ihre Bauern und Burgknechte. Aber in den Burgen herrschen Feuchtigkeit, Kälte und Dunkelheit. Nur die teilweise großen Kaminfeuer in den Rittersälen, vor denen sich die Adelsfamilien, häufig umgeben von ihren Jagdhunden, in den Wintermonaten aufhalten, bieten ein wenig Wärme und Geborgenheit. Auch die Adligen finden früh den Tod durch Krankheiten, Verwundungen auf dem Schlachtfeld oder beim Ritterturnier.
So empfinden die Menschen die Welt, in der sie leben, als bedrohlich. Zumal die Landschaften nördlich der Alpen immer noch von riesigen Waldgebieten bedeckt werden. Der Wald bietet den Menschen Holz, Tierpelze, Honig und Wachs. Dort hausen aber nach wie vor auch gefährliche Tiere – giftige Schlangen, umherstreifende Wölfe und Bären –, und die unheimliche Stille dieser unbekannten Welt erregt die Fantasie der Menschen. Sie glauben, dass neidische Kobolde, verführerische Feen und Elfen in den Wäldern ihr Unwesen treiben.
Die grausamen und öffentlich vollzogenen Strafen, mit denen Mord, Diebstahl, Ehebruch, die Nichtrückzahlung von Schulden, Wilderei, Widerstand gegen die Obrigkeit oder Ketzerei geahndet werden, verstärken die Ängste der Menschen. Zum Tode Verurteilte werden vor ihrer Hinrichtung mit glühenden Zangen traktiert oder es werden ihnen die Glieder abgeschlagen. Üblich ist auch die Vierteilung, wobei man die Arme und Beine des Opfers an Pferden festbindet, die dann auseinander getrieben werden. Gnädiger ergeht es da schon dem, der einen schnellen Tod erleidet, indem ihm das Beil des Henkers einigermaßen sicher den Kopf vom Rumpf trennt. Aber auch eine längere Kerkerhaft ist in der Regel gleichbedeutend mit einem Todesurteil. In engen, feuchten Zellen, die im Sommer unerträglich heiß und im Winter eiskalt sind, vegetieren die Häftlinge dahin. Ratten und Läuse, verfaultes Trinkwasser und ungenießbares Essen, Krankheiten und totale Isolation treiben die bejammernswerten Opfer in der Regel nach nur wenigen Jahren in den Wahnsinn. Besser kommt weg, wer auf den Marktplätzen nur an den Pranger gestellt und dem Spott und dem Hohn seiner Mitmenschen hilflos ausgeliefert ist, wer nur für wenige Tage in den Schuldturm wandert oder als Obdachloser ins Arbeitshaus kommt.
Die Folter ist nicht nur eine von der römischen Kirche in einer päpstlichen Bulle befohlene Form der Wahrheitsfindung, wenn die Inquisition gegen die Ketzer vorgeht und nach vermeintlichen Verrätern und Gotteslästerern fahndet. Sie wird auch im Alltag der weltlichen Gerichte ständig angewendet. Wer leugnet |40| , also nach Meinung seiner Richter »halsstarrig« bleibt, unterliegt der »peinlichen Befragung«. In den Museen und auf mittelalterlichen Bilderdarstellungen können wir noch heute nachvollziehen, mit welcher grausamen und sadistischen Perfektion die Folterwerkzeuge erdacht und
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