Die Geschichte der Deutschen
Neuzeit die modernen Nationen in Europa herauszubilden beginnen. Das Reich in der Mitte Europas wird so immer wieder zum Schauplatz von Kriegen der europäischen Großmächte England, Frankreich, Spanien und im Osten zeitweise Polen. Die Nachbarn nutzen den Egoismus und die Begehrlichkeiten der deutschen Fürsten, die mit ihrer häufig bedenkenlosen |42| , opportunistischen Haltung das Gesamtreich schwächen. Immer wieder finden die ausländischen Diplomaten in den kommenden Jahrhunderten unter ihnen Verbündete, die sich an den Kriegen gegen die kaiserlichen Heere beteiligen.
Otto der Große (912–973)
936 wird der älteste Sohn von Heinrich I. in Aachen mit großem Pomp zum König gekrönt. Mit seiner Herrschaft beginnt nach den langen Krisenjahren des karolingischen Reiches eine neue Glanzzeit fränkisch-sächsisch-deutscher Herrschergeschichte. Otto I. wird schon zu Lebzeiten wohl vor allem deswegen mit dem Titel »der Große« ausgezeichnet, weil er die Verhältnisse in Ostfranken und später in Italien stabilisiert.
Im Äußeren gilt es für den neuen König der Gefahr neuer ungarischer Einfälle energisch zu begegnen. Am 10. August 955 triumphiert das ottonische Heer auf dem Lechfeld über die Ungarn und bannt damit endgültig diesen für die östlichen Provinzen Ostfrankens seit zwei Generationen währenden Schrecken. In Magdeburg, einem künftigen Zentrum in Ottos Herrschaftszeit, gründet der König ein Erzbistum. Zum ersten Mal beginnt die römische Kirche nach Polen hinüberzustrahlen.
Durch seine Heirat mit Adelheid, der Witwe des italienischen Königs Lothar, erlangt Otto I. die langobardische Königskrone. Damit gehören nach Lothringen (das sein Vater Heinrich an das Reich gebunden hat) nun auch Nord- und Teile Mittelitaliens zum Herrschaftsbereich der Ottonen. Überhaupt hat die geschickte Heiratspolitik Ottos I. die wichtigen Beziehungen seines Reiches bis nach Byzanz und England positiv beeinflusst. Sein Sohn ehelicht die byzantinische Prinzessin Theophano, und er selbst ist in erster Ehe mit Edgitha, der Tochter des englischen König Eduards I., verheiratet.
Seit den Tagen der Karolinger gilt ohnehin, dass die großen Herrscherfamilien Europas durch vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verknüpft sind. Das bleibt bis zum Zusammenbruch der großen europäischen Monarchien im Ersten Weltkrieg so. Die Heiratsdiplomatie hat den Königen oder Herzögen, aber auch den kleineren Adelsfamilien im Laufe der europäischen Geschichte nicht selten bedeutendere territoriale Gewinne eingebracht als ein verlustreicher Krieg oder eine blutige Fehde. Besonders das Haus Habsburg, dessen Mitglieder bald für Jahrhunderte die deutsche Kaiserkrone tragen |43| werden, weckt mit seiner sprichwörtlich gewordenen klugen Heiratspolitik den Neid vieler Nachbarn. »Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube!« (»Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate!«) wird zum überaus erfolgreichen Motto dieses Herrschergeschlechts.
Als Otto I. im Mai 973 stirbt, ist die Thronfolge für sein Haus gesichert. Unter seiner langen Regierungszeit hat sich eine Herrschaftsordnung entwickelt, die auch für seine Nachfolger Gültigkeit besitzt. Es gibt keine Ämter, die der Kaiser beliebig besetzen und kontrollieren kann. Unter den Ottonen wird der Herrschaftsanspruch des Adels, also der vielen Herzöge, Markgrafen und Grafen, nun endgültig selbstverständlich. Wichtig sind die persönlichen Beziehungen zwischen dem Monarchen und der sehr kleinen Gruppe privilegierter Herrschaftsträger in seinem Reich. Den hohen Klerus bedenkt er mit beachtlichen Schenkungen, um die Bistümer und Reichsabteien in den Dienst der Reichsverwaltung zu stellen. Unter Otto I. richtet sich der Blick des ostfränkischen-deutschen Kaisertums neben Italien auch stark nach Norden und Osten. In einer sehr offensiven Missionspolitik gründet er zahlreiche Klöster und die Bistümer Schleswig, Ripen, Aarhus und Oldenburg.
Otto II., schon 961 in Aachen zum König und 967 in Rom zum Kaiser gekrönt, folgt seinem Vater als Alleinherrscher. Seine kaiserliche Autorität wird sofort nach Übernahme der Regierung herausgefordert. Der bayerische Herzog Heinrich (mit dem bezeichnenden Beinamen »der Zänkerer« belegt) verbündet sich mit den Böhmen und den Polen gegen den jungen Herrscher. Hintergrund dieses Konflikts ist die Nachfolgefrage in Schwaben. Heinrich erhebt gegen den Willen des Kaisers Anspruch auf den
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