Die Geschichte der Deutschen
Magdeburg errungen hat, auf dessen Meinung müssen auch die Kaiser und Könige Rücksicht nehmen. Nicht zuletzt deswegen ist es während des gesamten Mittelalters eine höchst politische Frage, wer über die Besetzung der hohen Kirchenämter zu entscheiden hat: der Papst oder der Kaiser.
Diese sich über Jahrhunderte hinziehende Auseinandersetzung zwischen der römischen Kirche und den weltlichen Herrscherhäusern wird in der Geschichtsschreibung Investiturstreit genannt. Investitur heißt Einsetzung und darum geht es auch. Auf welche Seite sich die Waagschale in dem Machtkampf neigt, hängt in der Regel davon ab, wie stark die Persönlichkeit und die politische Position der jeweiligen Amtsinhaber ist. Papst Gregor II. beispielsweise steckt um das Jahr 800 in solchen Schwierigkeiten, dass er den Frankenkönig Karl um Hilfe bitten muss. Dieser zieht mit seinem Heer nach Rom, verteidigt die päpstliche Stellung und lässt sich als Preis dafür die Kaiserkrone aufs Haupt setzen. Den Kampf um die Macht hat damals also Karl der Große für sich entschieden.
Ein eindrucksvoller Höhepunkt der päpstlichen Macht ist dagegen der berühmte Gang von König Heinrich IV. nach Canossa. Warum muss Heinrich aber auch ausgerechnet den willensstarken Papst Gregor VII. provozieren und etwas unüberlegt in aller Öffentlichkeit über dessen Absetzung nachdenken? Gregor droht daraufhin seinerseits Heinrich mit Absetzung, aber der König gibt nicht nach und bekräftigt seinen Willen zum Sturz des Papstes durch die Wormser Synode im Januar 1076. Der belegt Heinrich IV. mit dem kirchlichen Bann und |51| entbindet dessen Untertanen von ihrem Treueeid. Als sich auch die Fürsten und Bischöfe von Heinrich distanzieren, steht der König allein da. Ihm bleibt nur ein Ausweg und der heißt: Buße tun. Um die für ihn politisch höchst gefährliche Ächtung zu unterlaufen, zieht Heinrich im Januar 1077 im Büßergewand vor die Tore der italienischen Felsenburg Canossa, in der sich Papst Gregor aufhält. Drei Tage verharrt der König demütig in Schnee und Eis und leistet Abbitte, dann erreicht er die Auflösung des Kirchenbanns. Ein geschickter politischer Schachzug, denn Gregor bleibt gar nichts anderes übrig, als diesem Wunsch nachzukommen. Ein reuiger Sünder muss von der Kirche erhört werden, will diese nicht ihre eigenen Lehren verleugnen. Langfristig allerdings schadet Heinrichs Vorgehen dem Ansehen des Königshauses beträchtlich.
Der Tiefpunkt päpstlicher Machtlosigkeit ist erreicht, als 300 Jahre später Papst Clemens V. vor den inneren italienischen Wirren ins südfranzösische Avignon flüchtet. Ein Exil auf hohem Niveau, in einem prächtigen Palast, der von außen allerdings eher an eine Festung oder an ein Gefängnis erinnert. Clemens und seine Nachfolger werden dort 70 Jahre residieren und sich dafür mehr oder minder freiwillig in die Hand der französischen Könige begeben. Ein erniedrigender Zustand, bald ist in Anspielung auf die babylonische Gefangenschaft der Juden (586–538 v. Chr.) von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche die Rede.
Papst und Kaiser – sie bleiben immer voneinander abhängig. Beide behaupten wechselseitig, dass sie ihre Geschäfte unmittelbar im Auftrag Gottes führen. Die tiefe Religiosität der mittelalterlichen Menschen begünstigt die Macht von Papst und Klerus dabei erheblich. Wer sein Leben in Furcht und Schrecken vor den Höllenqualen im Jenseits führt und eifrig den drastischen Worten der Kirchenprediger lauscht, wird kaum Einspruch erheben, wenn die Kirche auch ihren weltlichen Einfluss im Diesseits geltend macht. So kann kein Kaiser oder König ohne den Segen der Kirche langfristig seine Politik durchsetzen. Nur der gesalbte Herrscher hat die göttliche Einwilligung und Fügung auf seiner Seite, nur mit der Zustimmung des Papstes wird das Werk der Könige vom göttlichen Segen begleitet sein. Herrscher von Gottes Gnaden – mit dieser Formel haben noch Deutschlands Kaiser Wilhelm II. und der letzte Romanow, Russlands Zar Nikolaus II., ihre Völker bis zum Sturz der beiden Monarchien am Ende des Ersten Weltkriegs zu Gehorsam und Dienst gezwungen. Im Zeitalter des Glaubens, wie das Mittelalter auch häufig bezeichnet wird, gibt diese in uralten Menschheitsmythen wurzelnde »Partnerschaft« von Gottheit und Herrschern den Päpsten immer wieder die Möglichkeit, ihrem weltlichen Gegenspieler Zugeständnisse |52| abzupressen. Andererseits ist der römische Bischof ohne Soldaten. Will er
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