Die Geschichte der Deutschen
Glaubens zu Tode gefoltert werden, werden in tausendfacher Form und mit drastischem Realismus dargestellt. Ebenso brutal sind die Abbildungen, die von den Peinigungen der Sünder in der Hölle erzählen. Die Welt ist von Dämonen und Teufeln bewohnt, die um die Seele der Menschen ringen und deren furchterregendes Aussehen täglich an Kirchenfassaden und auf Altarbildern zu begutachten ist. Bußprediger ziehen durch das Land. Sie beschwören den Weltuntergang und die ewige Verdammnis.
|49| Der mittelalterliche Mensch, dem Sturm und Gewitter oder Pest und Cholera unerklärbar bleiben, sieht sich in seinem kurzen Erdendasein wohl ständig von den realen Schrecken des Diesseits, von Naturkatastrophen, Missernten, Hunger, Krankheit oder Krieg bedroht. Der Tod ist im Mittelalter ein alltäglich sichtbarer Begleiter. Krieg und Gewalt fordern regelmäßig hohe Menschenopfer. In der Bilderwelt der mittelalterlichen Kunst ist der Tod einer der Hauptakteure. Albrecht Dürers Darstellung der vier apokalyptischen Reiter – Krieg, Hunger, Pest und Tod – aus dem 15. Jahrhundert lässt uns ahnen, mit welchen Ängsten und Schrecken der mittelalterliche Mensch zu ringen hat. Die garstigen Höllenstrafen, die den sündigen Menschen erwarten, sind allgegenwärtig, auch in den Prophezeiungen der Kirchenprediger. Nur wenige Kaiser, Könige oder Ritter können Lesen und Schreiben. Erst recht gilt dies natürlich für die Masse des Volkes. Das Wissen der Menschen reduziert sich auf Mythen und mündlich überlieferte Geschichten, die Volks- und Heiligenlegenden. Und diese erzeugen nicht nur Angst und Schrecken, sondern auch Gehorsam – gegenüber der Kirche, die nur denen, die sich an die Gesetze des Christentums halten, eine Erlösung von den Höllenqualen verspricht.
»Die europäische Christenheit ist das Werk der Mönche«, schreibt in unseren Tagen der Historiker Ferdinand Seibt. Vielleicht ist diese These, wie er selbst einräumt, ein wenig übertrieben. Aber sie trifft doch einen Wahrheitskern. Die Klostergründungen, die im Abendland seit dem 6. Jahrhundert zu beobachten sind, haben ganz entscheidend die Religions- und Kulturgeschichte der Europäer beeinflusst. Ohne das Werk der Mönchsorden ist die christliche Missionierung gar nicht denkbar. Benedikt von Nursia und Franz von Assisi sind die bekanntesten Ordensgründer des Mittelalters. Armut, Keuschheit und Gehorsam verpflichten die Ordensgemeinschaft. Ihr Wirken greift stark in das Alltagsleben der Menschen ein. Der Kirchenbesitz umfasst im Hochmittelalter fast ein Drittel des bebauten und genutzten Bodens in Deutschland. Möglich wird er durch die zahlreichen Schenkungen der Kaiser und Könige, die sich durch ihre großzügigen Gaben einerseits weltliche Unterstützung, andererseits aber sicher auch Fürsprache im Jenseits erhoffen. Das macht die Kirchen reich. Mit ihrem umfangreichen Acker- und Weinanbau zählen die Klöster zu den wichtigen Arbeitgebern und Nahrungslieferanten ihrer Umgebung.
Viele Bauernsöhne treten nicht aus Glaubensüberzeugung in ein Kloster ein, sondern weil sie in der materiellen und geistigen Sicherheit einer Gemeinschaft der Armut zu entkommen suchen, in der sie aufwachsen. Die Äbte oder die Äbtissinnen, so nennt man die Klosterleiter, stammen dagegen häufig aus hochadligen |50| Häusern. Sie sichern ihren Familien politischen Einfluss und dem zweitoder drittgeborenen Sohn, der also nicht die Titel, das Schloss, die Ländereien des Vaters erben kann, beziehungsweise der unverheirateten Tochter ein ausreichendes Einkommen. Im Laufe der Jahrhunderte beobachten die Menschen immer wieder, wie tief der Graben zwischen Sein und Schein in den Klöstern ist. Nicht jeder Klosterbewohner lebt so vorbildlich wie Hildegard von Bingen. Häufig kümmern sich die Mönche und Nonnen weder um das Armuts- noch um das Keuschheitsgebot. Sie beuten die Bauern aus, fressen, saufen und huren. Reformversuche einzelner Äbte oder Päpste ändern die Lage nur zeitweise. Natürlich gibt es tief gläubige Mönche und Nonnen, die in den Armenspitälern die Kranken pflegen, oder Klöster, die von Missernten geplagte Bauern und ihre Familien mildtätig mit ihren Erzeugnissen vor dem Hungertod bewahren. Aber die Regel ist dies nicht.
Die Erzbischöfe und Bischöfe sind im Mittelalter ein politischer Machtfaktor. Sie besitzen einen erheblichen Einfluss auf die großen Staatsentscheidungen ihrer Zeit. Wer das Amt des Erzbischofs von Reims, Paris, Mainz, Köln, Bremen oder
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