Die Geschichte der Deutschen
großen Nachbarnationen ständig angegriffen fühlen und angesichts ihrer staatlichen Zersplitterung immer etwas selbstmitleidig glauben im Konzert der Mächte zu kurz zu kommen, seien die Deutschen schließlich besonders wilde Nationalisten geworden. Sicher ist, dass der deutsche Nationalstaat, so wie er sich dann zwischen 1890 und 1945 entwickelt, dem eigenen Volk und seinen Nachbarn nicht zum Glück ausgeschlagen ist.
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Die Pracht des Barock
Die Jahrhunderte des Alten Reiches bringen auch in der Kunst- und Geistesgeschichte eine Loslösung vom mittelalterlichen Denken. Italien erlebt vorher eine atemberaubende Hochrenaissance, deren Bauwerke noch heute Millionen Touristen nach Florenz oder Siena, nach Venedig oder Rom locken. Dann überwältigt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Pracht des Barock die europäischen Höfe und Städte. Es ist die letzte einheitliche, über einen langen Zeitraum währende Kunstepoche, die Europa kennt. Zunächst sind es vor allem die italienischen Baumeister, die von den Fürsten gerufen werden, um die Residenzen auszubauen, Schlösser, Paläste und Kirchen mit ihren ausladenden barocken Fassaden zu errichten. Die katholische Kirche ist gestärkt aus den Glaubenskämpfen |100| hervorgegangen, was sich im Glanz der üppigen kirchlichen Innenräume widerspiegelt. Gewaltige mit Putten verzierte und bunt bemalte Kuppeln, prächtige Altäre, weit geschwungene Kanzeln und strahlende Heiligen- und Christusbilder: Der Glaube erweist sich auch als ein Triumph der Ästhetik. Die Protestanten dagegen werden zu radikalen Bilderstürmern, karg und farblos sollen ihre Gotteshäuser sein. Die Gläubigen sollen sich von den Bildern nicht blenden lassen und nur auf das Wort, die Bibel, vertrauen. Im evangelischen Holland und Flandern aber führen Rembrandt, Franz Hals, Jan Vermeer und viele andere die Malerei auf einen neuen Höhepunkt. Düsterer sind die Bilder im katholischen Spanien.
Anders sieht es in Deutschland aus. Nach Albrecht Dürer, der 1520 stirbt, bleibt die deutsche Malerei im 16. Jahrhundert ohne bemerkenswerte Leistungen. Die weltliche Architektur dagegen erreicht auch bei uns beachtliche Höhen. Bald zeugen in Bremen oder Augsburg prachtvolle Rathäuser vom Selbstbewusstsein der Stadtbürger. Die Territorialherren bauen ihre Residenzstädte aus – Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, München oder Dresden. Mathematische Logik und Rationalität leiten das Denken der Städtebauer: Kerzengerade Straßenzüge und eine Stein gewordene Geometrie der Wohnviertel, gewaltige, in ihren Ausmaßen wohl proportionierte Adelspaläste, hinter denen sich abgezirkelte Schlossanlagen ausdehnen, und die von neuem Reichtum zeugenden Handelshäuser prägen die barocke Architektur.
Das Barock entfernt sich von den dunklen Prophezeiungen drohender Weltuntergänge. Die konfessionellen Konkurrenz- und Machtkämpfe sind keineswegs überwunden, auch der Aberglaube der Menschen sitzt noch tief. Daneben jedoch macht sich der Optimismus der absolutistisch herrschenden Elite bemerkbar, die zu glauben beginnt, es gebe für die Menschheit Hoffnung und Fortschritt und das Leben sei ein ununterbrochenes, rauschendes Fest. Für die Wohlhabenden im Land sind die düsteren Zeiten vorüber. Das neue Lebensgefühl verschafft sich Ausdruck in Kunst und Kultur. Die Musik wird strahlender und verkündet eine neue Harmonie des Klangs. Der Venezianer Claudio Monteverdi findet den Übergang vom sakralen Gesang zur weltlichen Oper, die im 17. Jahrhundert ihren Triumphzug durch die Theater Europas antritt. Heinrich Schütz begründet einen Neuanfang der deutschen Musik, die bald Weltgeltung erringt. Die Passionen Johann Sebastian Bachs und die Oratorien Georg Friedrich Händels bringen die Wende von der Kirchenmusik des Mittelalters zur Welt des Liedes und des Tanzes. Am Ende, das Rokoko wird zur letzten Überspitzung des Barock, verzaubern die Serenaden, Symphonien und Opern von |101| Haydn und Mozart ein immer größer werdendes Publikum, das sich zu Konzerten in den Schlössern oder zu Opernbesuchen in den Hoftheatern versammelt.
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Mit dem in Eisenach geborenen Sohn eines Geigers und Hofmusikers beginnt eine lange Reihe bedeutender deutscher Musiker, die bis heute die Konzertprogramme in aller Welt mit ihren Werken ausfüllen. Johann Sebastian Bach ist zunächst und vor allem Kirchenmusiker, und seine Werke geraten nach seinem Tod weitgehend in Vergessenheit.
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