Die Geschichte der Deutschen
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reichsspitze im politischen Alltag nur noch ein Papiertiger ist. Andere Mächte beginnen jetzt den Fortgang im Reich zu bestimmen.
Im 18. Jahrhundert zeigt sich zudem eine neue politische Werteskala: Nicht mehr herkömmliche Privilegien, altgewohnte Herrschertraditionen oder Ständeordnungen bestimmen die Kraft und Größe eines Staates. Jetzt entscheiden die verfügbaren Ressourcen eines Landes über seine außenpolitischen Möglichkeiten. Wie groß die Bevölkerungszahl ist, wie sich die Wirtschafts- und Wehrkraft entwickelt, das bestimmt nun immer stärker die Politik der Mächte. Damit wächst die Überlegenheit Preußens und Österreichs gegenüber den kleineren deutschen Mächten. Wien und Berlin berufen sich immer selbstbewusster auf ihre Eigenstaatlichkeit. Den Reichsverband empfinden beide Regierungen nur noch als störend und lästig. Am Ende schauen alle gebannt auf das Kräftemessen zwischen diesen beiden Giganten.
Absolutistisch regieren die Landesherren ihre Territorien, verschwenden das von den Untertanen erarbeitete und abgepresste Vermögen mit ihren Mätressen, bauen sich Schlösser und Lusthäuser und legen sich Bilder- und Skulpturensammlungen zu. Das Mäzenatentum der Fürsten hat uns herrliche Kunstwerke hinterlassen. Aber der Preis, den die Menschen der damaligen Zeit dafür zahlen müssen, ist sehr hoch. Denn der einfache Bauer – und im 17. und 18. Jahrhundert leben immer noch 80 Prozent der Deutschen auf und von dem Land – kämpft gegen die bittere Armut, die sein ganzes Leben begleitet. Hunger und Elend herrscht in den Dörfern und Hütten. Auf den Schlössern blendet den Adel dagegen ein scheinbar nie endender Reigen von Maskenbällen, Komödien- und Ballettaufführungen, Wasserspielen und Feuerwerken, illustren Jagdgesellschaften und Galadiners. Mancher deutscher Fürst wird bald viele seiner Landeskinder als Soldaten nach Amerika verkaufen, um die vom Luxusleben geleerten Schatullen wieder zu füllen.
Eine Besonderheit in Deutschland sind nach dem Dreißigjährigen Krieg die »Hofjuden«. Die exzessive Hofhaltung der Fürsten verschlingt Unsummen, weshalb sie ständig auf der Suche nach neuen Geldquellen sind. So holen sie sich im Bank- und Finanzgeschäft kundige Juden an ihre Höfe. Diese haben häufig weit verzweigte Geschäftsverbindungen, die sie für die eigenen und die Geschäfte ihrer Landesherren nutzen. Aufgabe ist es, den Staatsschatz durch Kredite und die ihnen überlassene Eintreibung der Steuern zu vermehren. Als Gegenleistung erhalten sie eine Vielzahl von Privilegien. Dazu gehört in der Regel die Befreiung des jüdischen Hofmannes und seiner Handelswaren von allen |97| inländischen Gebühren und besonderen Judenabgaben. Ihren persönlichen Kontakt zum Landesherren versuchen viele von ihnen zu nutzen, um die jüdischen Gemeinden vor neuen Sonderbelastungen oder gar der Vertreibung zu schützen.
Diese Erfolge an den Fürstenhöfen bedeuten für Deutschland eine Zäsur in der Entwicklung des Verhältnisses der Juden zu ihrer Umwelt. Es handelt sich bei den an den Höfen wirkenden Juden zwar nur um eine kleine Minderheit, aber ihre herausgehobene Tätigkeit beschert den Gemeinden nach einer langen Periode des wirtschaftlichen Niedergangs wieder einen Aufwärtstrend im Wirtschaftsgefüge des Reiches. Waren die Juden in der Vergangenheit in ihrer Berufstätigkeit eingeengt und diskriminiert, öffnet das Auftreten der Hofjuden vielen ihrer Glaubensgenossen ein erweitertes Berufsspektrum. Das ist der Anfang eines Emanzipationsprozesses, der den deutschen Juden im Laufe des 19. Jahrhunderts zumindest die formale Gleichberechtigung bringt.
Die andere Seite ist düster. Steuereintreiber und Fürstenknechte sind im Volk nie beliebt. Gleichgültig ob es sich um Juden oder Christen handelt. Da es hier aber um Geldgeschäfte geht, verstärkt das Wirken der Hofjuden alle alten Vorurteile der Judenhasser. Sie machen die jüdischen Bankiers für die auf Befehl der Fürsten erfolgten Bedrückungen des Volkes verantwortlich.
Joseph Süß Oppenheimer (etwa 1698–1738)
Das vielleicht berühmteste Beispiel für den Aufstieg und Fall eines deutschen Hofjuden ist Joseph Süß Oppenheimer. Geboren wird er als Sohn eines jüdischen Händlers in Heidelberg. Seine Karriere als Kaufmann und Bankier führt ihn von dort nach Frankfurt. Im Jahr 1732 lernt er bei einem Kuraufenthalt den württembergischen Erbprinzen Karl Alexander kennen.
Weitere Kostenlose Bücher