Die Geschichte der Deutschen
Erst im 19. Jahrhundert wird der Leipziger Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy Bachs Passionen wieder öffentlich zur Aufführung bringen und damit den überwältigenden Nachruhm dieses Musikers begründen. Der Philosoph Friedrich Nietzsche – er komponiert selbst – schreibt 1870 enthusiastisch an einen Freund: »In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäuspassion gehört, jedes Mal mit dem selben Gefühl der unermesslichen Bewunderung. Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.«
Der Lebensweg dieses Musikers ist unspektakulär. Noch gibt es nicht den Geniekult, der Organist und Komponist Bach fühlt sich zeit seines Lebens als Handwerker und nicht als Künstler. Früh wird er Waise und kommt nach dem Besuch der Eisenacher Lateinschule und des Lyzeums in Ohrdruf 1700 nach Lüneburg. Dort tritt er in den Chor der Michaelisschule ein und wird im Alter von 18 Jahren Violinist im Kammerorchester des Herzogs von Sachsen-Weimar. Der Protestant Bach macht seine Orgelprüfung in der Neuen Kirche von Arnstadt. In den kommenden Jahrzehnten wird er seinen Lebensunterhalt vor allem als Kantor und Kirchenorganist verdienen. Fast alle seine Werke – die vielen Orgelstücke, Kantaten und Arien, die Passionen – komponiert er für den sonntäglichen Gottesdienst oder für Aufführungen an den großen christlichen Festtagen Ostern und Weihnachten.
Bach nimmt verschiedene Organisten- und Orchesterstellungen in Weimar, Mühlhausen und Halle an. 1723 wählt ihn die Gemeinde der Thomaskirche in Leipzig zum Kantor. Ein Jahr später wird die Johannespassion aufgeführt. Fünf Jahre darauf erklingt zum ersten Mal die Matthäuspassion.
Bach reist viel, ist ein begehrter Orchestermusiker und Organist. 1736 wird er »Hof-Compositeur« des sächsischen Kurfürsten. Die Familie wächst, Bach ist zweimal verheiratet und zwanzig Kinder werden geboren. Neun von ihnen |102| überleben. Seine Söhne werden ebenfalls Musiker und vor allem die Symphonien und Kantaten von Carl Philipp Emanuel finden eine beachtliche Zuhörerschaft. 1750 stirbt Johann Sebastian Bach an einem Schlaganfall.
Er ist ein gläubiger Mensch und praktizierender Lutheraner. Seine private Bibliothek enthält zahlreiche geistliche Werke. Musik, so sagt er einmal, sei »anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und zur Recreation des Gemüths« gedacht. Seine Biografen erzählen, dass er von dem Gedanken an den Tod geradezu besessen gewesen ist. Im alltäglichen Kampf um ein ausreichendes Auskommen und in seinen öffentlichen Bekundungen erweist er sich als braver Stadtbürger. Ein ernster Mann ist dieser Johann Sebastian Bach, von protestantischer Pflichterfüllung beseelt und sparsam bis zum Geiz. Er gilt als starrköpfig, jähzornig und schwierig. Aber ein großer Musiker ist er geworden. Der Komponist Max Reger schreibt 140 Jahre nach Bachs Tod an einen Bekannten: »Glauben Sie mir, all die harmonischen Sachen, die man heutzutage zu erfinden sucht und die man als so großen Fortschritt anpreist, die hat unser großer unsterblicher Bach schon längst viel schöner gemacht!«
Fast vergessen ist heute die deutsche Barockliteratur. Denn was sagen uns noch Namen wie Martin Opitz oder Andreas Gryphius? Allenfalls der treue Gottesdienstbesucher kennt noch einige Lieder von Paul Gerhardt, zum Beispiel das feierliche »Oh Haupt voll Blut und Wunden ...«. Und natürlich, aber davon ist schon erzählt worden, den Grimmelshausen und seinen Simplicissimus. Die barocke Literatur steht noch ganz im Zeichen der dreißig Jahre währenden Kriegserfahrung, die in den Köpfen der Menschen noch nicht verwunden, von der Pracht der Höfe jedoch überstrahlt wird. Sie spiegelt die Spannung zwischen Diesseits und Jenseits wider, in der die Menschen des 17. Jahrhunderts leben. Lebensfreude und Todessehnsucht, die Wahrheit des Scheins und der Schein der Wahrheit sind die Pole, zwischen denen sich die Texte der barocken Dichter bewegen: Alles ist vergänglich und wir leben in einem großen Welttheater.
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|103| Von Preußen bis zur Paulskirche
Der Aufstieg des Landes, das schließlich zur beherrschenden Macht im deutschen Reich werden wird, beginnt erst nach dem Dreißigjährigen Krieg. Es ist das von der Hohenzollern-Dynastie regierte Preußen. Die Geschicke Deutschlands sind bald untrennbar mit den Entwicklungen dieses Staates verbunden. Am Anfang steht Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg. 1411 ernennt der deutsche Kaiser
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