Die Geschichte der Deutschen
Ideen der Aufklärung politisch zu wirken. Vor allem in Frankreich, England und Deutschland erscheinen Bücher und Schriften, die ein neues Welt- und Menschenbild entwerfen. Den Naturwissenschaftlern gelingen bahnbrechende Neuentdeckungen. Mit der Produktion von Schwefelsäure, Soda und Chlor werden beispielsweise die Grundlagen der modernen Chemie geschaffen. Leonhard Euler und Pierre Simon Laplace entwickeln die Anfänge der modernen Zahlentheorie und bieten den Kollegen aus den Nachbarwissenschaften mathematische Grundlagen, die zur Berechenbarkeit und Verallgemeinerung ihrer Experimente und Erfindungen unabdingbar sind. Die Brüder Montgolfier steigen mit einem Heißluftballon in die Lüfte und machen einen Menschheitstraum wahr. James Watt baut die erste Dampfmaschine. Jahrtausende hat der Mensch schwere Handarbeit leisten müssen, die nun eine Maschine mit vielfach stärkerer Kraft für ihn übernehmen kann. In England setzt die Industrialisierung ein, die in den kommenden 200 Jahren das Leben der westlichen Zivilisation verändern wird. Der Schotte Adam Smith schreibt sein Buch Der Wohlstand der Nationen und begründet damit die Theorie des modernen Kapitalismus. Eine Volkswirtschaft wird sich nur dann optimal entfalten, meint er, wenn jeder an sich selbst zuerst denkt und versucht, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Ein solcher Egoismus zerstört nach der Theorie des Schotten die sozialen Grundlagen einer Gesellschaft nicht, weil es den Tauschhandel gibt: »Gib mir, was ich brauche, und du sollst haben, was du brauchst.« Der Kapitalismus ist bis heute die beherrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsideologie der westlichen Staaten geblieben. Lauter neue, aufsehenerregende und vom rationalen Denken befruchtete Ideen gebiert das 18. Jahrhundert. Die Welt wandelt sich.
In Frankreich sind es die so genannten »Enzyklopädisten«, die ein »aufgeklärtes« neues Bild von der Welt entwerfen. Unter der Federführung des Schriftstellers Denis Diderot schreiben und veröffentlichen sie eine vielbändige und übersichtliche Gesamtdarstellung der Wissenschaften und Künste, die kurz die Enzyklopädie genannt wird. Das in einem Zeitraum von 30 Jahren entstandene Werk erläutert Begriffe und philosophisch-gesellschaftliche Erkenntnisse, Erfindungen und Entdeckungen, die den Leser ahnen lassen, welche Veränderungen |111| die Gesellschaften erleben. Zum Kreis der Autoren gehört auch Jean-Jacques Rousseau, der in Genf geborene Sohn eines hugenottischen Uhrmachers. In seiner berühmten Schrift Du contrat social (zu Deutsch Der Gesellschaftsvertrag) preist er den politisch mündigen Bürger, der sich freiwillig dem Willen der Allgemeinheit unterwirft und so den idealen Staat schafft. In seinem damals viel gelesenen Roman Emile plädiert er leidenschaftlich für die natürliche und freie Erziehung der jungen Menschen. Auch Voltaire, der Dichter, Philosoph, Polemiker und Gesprächspartner des preußischen Königs Friedrichs des Großen, wird zum Vorbild für die Enzyklopädisten. Seine Kirchenkritik, die Forderung nach mehr menschlicher Wohlfahrt und die Berufung auf die Ideen der Vernunft machen ihn unter den Gebildeten seiner Zeit ungemein populär und empören die Obrigkeit. Voltaire muss viele Jahre im Exil leben.
Die Werke der Enzyklopädisten sind ein weit hörbarer Aufruf zur Befreiung des Einzelnen – aus der eigenen wie aus der gesellschaftlichen Unmündigkeit. Vernunft soll an die Stelle von Aberglauben und Unterwerfung treten. Der Mensch ist zum Guten fähig und angesichts der Errungenschaften des Geistes, die sich in den neuen Erfindungen und Denkmodellen widerspiegeln, schreitet die Menschheit nach vorn. Die Aufklärung ist optimistisch, und der Glaube an den Fortschritt wird das 19. Jahrhundert beherrschen.
Aus England und Frankreich strahlt die Aufklärung rasch auch hinüber nach Deutschland. Der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing, der in Berlin lebende jüdische Philosoph Moses Mendelssohn und der Universitätsprofessor im fernen Königsberg, Immanuel Kant, sind ihre berühmtesten Vertreter. Toleranz, Vernunft und die sich aus ihr entwickelnden moralischen Anforderungen an das Individuum stehen im Zentrum ihrer Werke.
Immanuel Kant (1724–1804)
Kant wird als viertes von neun Kindern eines armen Sattlermeisters im ostpreußischen Königsberg geboren. Die Eltern sind fromme Pietisten. Das Leben eines gottesfürchtigen Menschen besteht für sie aus Arbeit, Pflicht und Gebet. Im Werk des Sohnes
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