Die Geschichte der Deutschen
entdeckt er aber erst relativ spät, jedenfalls ist er kein »Wunderkind« wie Mozart. Er studiert Musik in Leipzig und begibt sich auf ein rastloses Wanderleben. Wagner wird Chordirektor in Würzburg, Musikdirektor in Magdeburg und Königsberg und zieht schließlich mit seiner Geliebten, der Schauspielerin Minna Planner, nach Riga. Dort beginnt er mit der Komposition seiner Oper Rienzi. Hohe Schulden veranlassen ihn abermals zur heimlichen Abreise. Auf der stürmischen Überfahrt nach London findet er die ersten musikalischen Motive zum Fliegenden Holländer, dessen Geschichte ihm aus dem Werk Heinrich Heines bekannt ist.
Als das Dresdner Hoftheater seinen Rienzi annimmt, siedelt Wagner in die sächsische Metropole über. Er tritt die Stelle eines Königlich-Sächsischen-Hofkapellmeisters an und komponiert die romantischen Opern Tannhäuser und Lohengrin. Die Inhalte, die sich um einen Sängerkrieg auf der Wartburg und ein Gottesurteil zur Zeit König Heinrichs I. ranken, entlehnt er aus der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Der Rienzi ist ein voller Erfolg, aber wieder kann Wagner nicht bleiben. Seine Beteiligung an den revolutionären Ereignissen, die 1848/49 auch Dresden erreichen, ist weniger politisch als künstlerisch motiviert. Wagner will das Operntheater und nicht unbedingt die politischen Verhältnisse |147| revolutionieren. Seine Flucht, bei der ihm der in Weimar lebende Pianist und Komponist Franz Liszt ein treuer Helfer ist, endet in Zürich.
Er lebt hier mit Minna, unterstützt von dem Kaufmann Otto Wesendonck, und beginnt mit den Entwürfen zum Ring des Nibelungen. Erneut ist es ein mittelalterlicher Stoff, dieses Mal aus dem Nibelungenlied und der altisländischen Edda, den der Komponist bearbeitet. Wie bei allen seinen Opern schreibt Wagner das Libretto selbst und gibt den Geschichten einen ganz eigenen Sinn. Es geht um Gold und Macht, gesellschaftliche Ordnung und deren Zusammenbruch. Der Ring ist Wagners Antwort auf die Moderne, den Kapitalismus und den Werteverfall, den viele seiner Zeitgenossen angesichts der atemberaubenden Veränderungen zu verspüren glauben. Die Partituren der ersten beiden Teile, Das Rheingold und Die Walküre, werden vollendet.
Wagner liest in Zürich die Schriften des Philosophen Arthur Schopenhauer, dessen pessimistisches Weltbild sein Denken und damit sein ganzes künftiges Werk stark beeinflusst. Erste Entwürfe zur Oper Tristan und Isolde entstehen. Deren Gegenstand – eine tragische Liebesgeschichte – findet ihren Widerhall in der Realität. Sein leidenschaftliches Verhältnis zu Mathilde Wesendonck, der Ehefrau seines Gönners, führt zu familiären Zerwürfnissen und später zur Trennung von Minna. 1858 verlässt Wagner Zürich und reist nach Venedig. Für zwölf Jahre unterbricht er die Arbeit am Ring, stattdessen komponiert er Tristan und Isolde. Den Stoff nimmt er wie stets aus dem Mittelalter. Es wird ein Musikstück um Liebe und Tod, Treue und Schopenhauers Verneinung der Welt. Die Partitur des Tristan ist eines der revolutionärsten Werke der Musikgeschichte.
Wiederum folgen unruhige Jahre, in denen es Wagner nach Paris, Wien und Mainz verschlägt. Überall hinterlässt er Schulden. Immerhin werden seine Werke allmählich bekannt und an vielen Opernhäusern aufgeführt. Er komponiert Die Meistersänger von Nürnberg. Doch als er 1864 nach Wien reist, bedrängen ihn die Gläubiger. Eine Schuldhaft droht. Wagners Weg führt weiter nach Stuttgart. Endlich erreicht ihn eine Botschaft des bayerischen Königs Ludwig II. Dies ist die Rettung. Der romantische, scheue und homoerotisch veranlagte Monarch, ein von Wagners Opern überwältigter Bewunderer, zahlt alle Schulden und bietet dem Komponisten in München ein materiell gesichertes Leben. Gleich darauf stürzt Wagner sich in ein neues Abenteuer. Er beginnt eine Liaison mit Cosima von Bülow, der Frau des Dirigenten Hans von Bülow und Tochter von Franz Liszt. Eine heimliche Beziehung, die schließlich zum Münchner Klatsch gerät. Da sich Wagner zudem noch ungeschickt und seine Position überschätzend in die bayerische Politik einmischt, bringt der Favorit des Königs |148| Hof und Gesellschaft gegen sich auf. Das Kabinett überzeugt den König, dass sein Schützling die Residenzstadt verlassen muss. In Tribschen bei Luzern findet Wagner für die nächsten sechs Jahre ein neues Asyl. Cosima, von der er bereits zwei Töchter hat, verlässt ihren Mann und folgt ihm in die Schweiz. Die zwei letzten
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