Die Geschichte der Deutschen
muss er die Haft nicht antreten. In Amerika führt List seine Aktivitäten weiter. Er macht als Kohlengrubenbesitzer ein Vermögen und verliert es bald wieder. Er gibt eine deutsche Wochenschrift heraus und engagiert sich für die amerikanische Schutzzollbewegung.
1832 kehrt er nach Deutschland zurück, und es beginnt sein Kampf um den |144| Eisenbahnbau. Der arbeitswütige Plänemacher überschüttet verschiedene deutsche Landesregierungen mit Vorschlägen und Entwürfen, die sich mit der Zukunft der Eisenbahn beschäftigen. List ist ein Visionär, der mit beiden Beinen in der Wirklichkeit steht. »Er ist in keiner Gruppe unterzubringen, er steht zwischen ihnen, wie er zwischen den Zeiten steht – man könnte an ihm den Begriff und das Schicksal des ›Unzeitgemäßen‹ ablesen«, schreibt 100 Jahre nach seinem Tod sein Biograf und schwäbischer Landsmann, Altbundespräsident Theodor Heuss.
Das Ende ist tragisch. In den letzten Jahren lebt List in ärmlichen Verhältnissen als Schriftsteller in Augsburg. Müde, überarbeitet, von Geldsorgen bedrückt, will er 1846 in Italien neue Kraft schöpfen. Aber er kommt nur bis Kufstein. Friedrich List geht in die Berge, es schneit und er erschießt sich.
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|145| Das Kaiserreich
Nach dem Ende des Paulskirchenparlaments ziehen wieder dunkle Zeiten für die Liberalen und Demokraten in Deutschland herauf. Die Könige und Fürsten ersetzen die »Märzregierungen« durch konservative Kabinette und versuchen die Aufmüpfigen in Bürgertum und Arbeiterklasse mit Repressionen zum Schweigen zu bringen. Doch die Errungenschaften von 1848 können sie nicht vollständig rückgängig machen, vor allem nicht in den Köpfen der Menschen. Dort bleiben die Revolutionsmonate und die Ideen der Paulskirche unvergessen. Die liberalen Verfassungen der einzelnen Länder werden revidiert, aber zumindest formal bleiben verschiedene Wahl- und Grundrechte erhalten. Der Presse allerdings werden enge Zügel angelegt, und die Versammlungsfreiheit wird drastisch eingeschränkt. Zahlreiche Demokraten müssen hohe Haftstrafen antreten. Nach der Niederschlagung des Aufstandes in Baden gehen an die 80 000 Einwohner des Landes ins Exil. Das sind über 5 Prozent der Bevölkerung. Der sächsische Hofkapellmeister Richard Wagner oder der Architekt Gottfried Semper, fliehen im letzten Augenblick nach Frankreich. Noch mehr wandern in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten aus, in die Vereinigten Staaten von Amerika. Der rheinländische Publizist Carl Schurz beispielsweise, der zuvor in einer spektakulären Aktion seinen Bonner Hochschullehrer Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis befreit.
Richard Wagner (1813–1883)
Viele deutsche Künstler sind in den Jahren des Deutschen Bundes und unter dem System Metternich auf Distanz zu einem Staat gegangen, der sie mit Zensur und Ausweisung, wenn nicht gar mit Haftstrafen bedroht. Heinrich Heine lästert über den deutschen »Spießbürger« und kritisiert die politischen Verhältnisse. Schon 1819 reimt er: »Schau ich jetzt von meinem Berge / In das deutsche |146| Land herab: / Sehe ich nur ein Völklein Zwerge, / Kriechend auf der Riesen Grab.« Selbst der ehemalige Minister im herzoglichen Weimar Johann Wolfgang von Goethe, durchaus kein Freund demokratischer Entwicklungen, meint im Gespräch mit seinem Sekretär Johann Peter Eckermann über die Zustände in Deutschland: »Und dann! Bedarf es denn im Leben eines Staatsdieners in Behandlung der Menschen nicht auch der Liebe und des Wohlwollens? – Und wie soll einer gegen andere Wohlwollen empfinden und ausüben, wenn es ihm selber nicht wohl ist?«
Auf den Barrikaden, die 1848 errichtet werden, kämpfen viele Schriftsteller und Journalisten, Architekten, Maler oder Musiker. In Dresden ist der junge Kapellmeister Richard Wagner dabei, als die Sturmglocken der Revolution läuten. Nur mit knappster Not entkommt der steckbrieflich gesuchte Komponist seinen Häschern. Er muss ein langes Exil in Frankreich und in der Schweiz ertragen. König Ludwig II. von Bayern wird ihn dann retten, bevor seine Geldschulden ihn erdrücken. Am Ende seines Lebens hat er sich in der kleinen Residenzstadt Bayreuth sein eigenes Theater errichtet, an dem nur seine Opern gespielt werden dürfen.
Geboren wird Richard Wagner in Leipzig. Der Vater stirbt früh, und die Mutter heiratet den Schauspieler und Dichter Ludwig Geyer. Wagner wächst also in einer künstlerischen Umgebung auf. Seine musikalische Begabung
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