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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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auch Belgien verlassen muss. Über Paris kehrt er nach Deutschland zurück und übernimmt die Leitung der radikaldemokratischen Neuen Rheinischen Zeitung. Natürlich wettert Marx weiter gegen die Metternichschen Kontrollinstanzen, er macht sich stark für eine einheitliche Republik und einen Krieg gegen das reaktionäre Russland. Dann scheitert die Revolution, und der notorische »Ruhestörer« wird abermals ausgewiesen. Erst in London, wohin er nun emigriert, findet er für die nächsten 35 Jahre eine dauerhafte Bleibe.
    Zeit seines Lebens ist Marx ein armer Mann. Die Honorare, die er für seine Zeitungsartikel erhält, und die Unterstützung seiner Freunde und Kampfgefährten ernähren ihn und seine stetig wachsende Familie am Existenzmininum. Immer wieder ist er auf die materielle Hilfe seines Freundes und Gefährten Engels angewiesen, der nach 1848 in der Filiale der väterlichen Textilfabrik in Manchester arbeitet. Doch das alles kann Marx nicht schrecken. Die Probleme seines eigenen Alltags überlässt er weitgehend seinen Mitmenschen, während er die schlechten Lebensbedingungen einer ganzen Gesellschaftsklasse, der Arbeiterschaft, analysiert und an den Pranger stellt. Bis zu seinem Tod sitzt er im Lesesaal der berühmten British Library in London und schreibt an seinen philosophischen, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Werken.
    |141| Marx ist ein Visionär, aber schwierig im Umgang und kompromisslos dazu. Im Laufe seines Lebens bricht er mit fast allen sozialistischen Gruppierungen. In ihm, der die Gleichheit aller Menschen fordert, schlummert privat ein Despot. Für sich und Engels beansprucht er die Führungsrolle in der sozialistischen Bewegung. Jeden Abweichler überschüttet er mit Beschimpfungen und polemischen Pamphleten. Denkerisch ein großer Analytiker, scheint er als Mensch nicht allzu sympathisch gewesen zu sein. Als ziemlich autoritärer Ehemann und Vater wird er von seinen nichtkommunistischen Biografen geschildert. Heute würden wir ihn wohl als Macho und Familienpatriarchen bezeichnen, der seiner Ehefrau Jenny nicht nur kaum erträgliche Lebensumstände zugemutet, sondern sie auch tyrannisiert und betrogen hat. Sein Tod findet in der sozialistischen Arbeiterbewegung und auch in ihrer größten Partei, der deutschen Sozialdemokratie, ein lebhaftes Echo. Aber wohl niemand hat 1883 geahnt, welche Bedeutung die Bücher dieses Gelehrten einmal erhalten würden.
    Das riesige, heute kaum noch gelesene Werk setzt sich mit der deutschen Philosophie, vor allem mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Ludwig Feuerbach auseinander, um dann immer stärker von der Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit, von der Ausbeutung des Menschen durch den »Mehrwert«, vom Materialismus, von der Klassengesellschaft und von der kommenden Revolution zu sprechen. Die Kapitalisten, so meint Marx, nähren ihre eigenen Totengräber: die immer größer und stärker werdende Arbeiterschaft. Am Ende des langen Weges liegt für Marx der Sieg des Proletariats über die Herrschenden. Die bürgerliche Gesellschaft, und damit das Ziel der Revolutionäre seiner Zeit, ist nur ein Übergang. Marx will mehr, für alle Menschen. Auf den sterbenden Staat folgt, so der Theoretiker in London, die klassenlose Gesellschaft, in der alle gleiche Rechte und gleiche Chancen haben werden.
    Ein hohes, kaum zu realisierendes Ideal, das Marx da vertritt. Genau das ist seiner Theorie dann letztlich zum Verhängnis geworden. Marx hat zweifellos die sozialen Verhältnisse seiner Zeit sehr genau erkannt und seine Kritik an den zerstörerischen Kräften des Kapitalismus wird sich in den nächsten Jahrzehnten bestätigen. Seine Schwäche aber liegt in eben jenen Prophezeiungen, mit denen er selbstgewiss erklärt, wie sich die Gesellschaft entwickeln wird und welche Zukunft uns erwartet. Auch die Rezepte, mit denen er die Überwindung des Kapitalismus propagiert, halten der Wirklichkeit nicht stand. Das Gefährliche seiner Theorien liegt darin, dass er sie als Kind des wissenschafts- und fortschrittsgläubigen 19. Jahrhunderts mit der Aura einer unumstößlichen Gewissheit versieht. Damals scheint alles möglich, da sich alles ändert. Von seinen Anhängern |142| wird er denn auch wie ein Ersatz-Gott verehrt und seine Thesen haben für sie das Gewicht päpstlicher Unfehlbarkeit. Im Namen der reinen kommunistischen Lehre sind unendlich viele Ketzer verfolgt und hingerichtet worden. Gescheitert ist der Marxismus in der politischen und

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