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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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Teile des Ring – Siegfried und Götterdämmerung – werden komponiert.
    Sein rastloses Leben findet 1872 in Bayreuth einen Ruhepunkt. Die Stadt überlässt ihm einen Bauplatz, wo er sein Festspiel-Theater und am Rande des Schlossparkes die Villa Wahnfried errichtet. Nach zahlreichen Krisen, die der großzügige und nicht nachtragende Ludwig II. mit viel Geld zu überwinden hilft, werden 1876 die ersten Bayreuther Festspiele eröffnet. Seitdem ist die fränkische Stadt, in der einst die Schwester Friedrichs des Großen als Markgräfin residierte, zum Mekka der Wagnerianer geworden. In diesen Jahren komponiert Wagner seine letzte Oper Parsifal. Wagner stirbt am 12. Februar 1883 in Venedig.
    Richard Wagner ist der berühmteste deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts. Über keinen aus dem Reich der Kunst ist im deutschen Sprachraum so viel geschrieben und gestritten worden, wie über ihn. Totale Verdammung und glühende Verehrung begleiten sein Werk und seine Person. Unerschöpflich scheinen die musikalischen, politischen und gesellschaftlichen Deutungen seiner Operntexte zu sein. Noch heute eilen die Kritiker in die Opernhäuser von Toronto und Sidney, von Buenos Aires und New York, von Paris und London, wenn die Neuinszenierung einer Wagner-Oper auf dem Programm steht. Aber das ist nur die eine Seite seiner unglaublich breiten Wirkungsgeschichte. Denn auch der politisch und gesellschaftlich argumentierende Richard Wagner erhitzt die Gemüter, spaltet schon zu Lebzeiten die Meinungen. Er ist Antisemit. Seine 1850 erstmals veröffentlichte Schrift Über das Judentum in der Musik ist voller Vorurteile und falscher Interpretationen: Die Polemik eines Künstlers, der um seine Anerkennung ringt, ohne Geld in Paris sitzt und mit Neid auf die Erfolge der von den Franzosen umjubelten Opern des jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer reagiert. Als er diese Schrift 1869 wieder auflegt, ist er schon bekannt und das Echo ist vielfältig.
    Wagners Judenfeindschaft wird aber erst nach seinem Tod richtig virulent. In den Bayreuther Blättern, die die Wagner-Vereine herausgeben, wird der Ton gegen die Juden noch schärfer und gemeiner. Sein Schwiegersohn, der britische Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain, schreibt eine antisemitische Kulturgeschichte, die zum Bestseller wird. Kaiser Wilhelm II., ebenfalls ein Antisemit, liest sie mit Begeisterung. Bald liegt dieses Buch auf den Nachttischen der deutschen |149| Bildungsbürger. Der arbeitslose Herumtreiber Adolf Hitler besucht nach der Jahrhundertwende in Wien Aufführungen von Wagners Opern. Sie werden sein Bild von der Welt, von Kampf und Untergang, von Rasse und Deutschtum mitprägen. Wagner-Takte erklingen im Radio des Dritten Reiches, wenn die verlorene Schlacht von Stalingrad dem Volk pathetisch als deutsches Heldenepos verkündet oder einer der Nazi-Heroen mit einem Staatsbegräbnis verabschiedet wird.
    In seinen letzten Lebensjahrzehnten ist der einstige Revolutionär zum Monarchisten geworden. Sein Urteil über den preußischen Machtstaat bleibt schwankend, aber einen starken Staat hält er für notwendig. Auf den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 reagiert Wagner chauvinistisch. Als die deutsch-preußischen Truppen Paris belagern und die Menschen in der eingeschlossenen Stadt hungern, schreibt er ein höhnisches Gedicht An das deutsche Heer vor Paris und die üble Farce Eine Kapitulation, in der er sich über die Eingeschlossenen lustig macht. Pflichtschuldigst lässt er diese Pamphlete Bismarck überreichen. Tief gekränkt ist er, als der Reichskanzler später auf seine Bitten, die Bayreuther Festspiele zu unterstützen, ihn nicht einmal einer persönlichen Antwort für würdig erachtet.
    Wagner ist jenseits seiner revolutionären Bedeutung für die Musik ein nicht untypischer Intellektueller seiner Zeit. Gigantomanie macht sich breit. Nicht nur in der Politik und in der Wirtschaft, sondern auch in der Kunst. Wagner will das »Gesamtkunstwerk« schaffen, sein Orchester nimmt eine Größenordnung an, die bisher in den Konzertsälen und Opernhäusern unbekannt gewesen ist. Anton Bruckners und Gustav Mahlers Symphonien benötigen noch viel mehr Orchesterinstrumente. Als der einsiedlerische Philosoph Arthur Schopenhauer sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung an den Verleger Brockhaus in Leipzig schickt, schreibt er: »Mein Werk also ist ein neues philosophisches System: aber neu im ganzen Sinn des Wortes: nicht neue Darstellung des schon

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