Die Geschichte der Deutschen
Monarchen und Bismarck, da sich Wilhelm als Preuße fühlt und deswegen nicht den Titel »Deutscher Kaiser« tragen will. Durch die spontane Formel »Kaiser Wilhelm«, die im Spiegelsaal benutzt wird, überspielt man das Problem elegant. Aber Bismarck ist in der Stunde seines größten Triumphes wegen der Auseinandersetzung mit Wilhelm tief gekränkt.
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Die Graue Eminenz und die Sozialdemokratie
Ein politischer Traum ist in Erfüllung gegangen. Das über Jahrhunderte zersplitterte Land ist geeint. Bismarck verwaltet und konsolidiert das neue Reich in den nächsten 18 Jahren. Er wird Reichskanzler und Außenminister, bleibt außerdem |165| preußischer Ministerpräsident. Eine neue Verfassung wird beschlossen. Zum ersten Mal gibt es allgemeine freie Wahlen für den Reichstag. Aber die politische Macht der Abgeordneten ist gering.
Deutschland erlebt einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und wird neben England zum mächtigsten Staat in Europa. Nach drei Kriegserfolgen genießt das preußisch-deutsche Militär einen legendären Ruf. Der Offizier wird nicht nur von den Dienstmädchen angehimmelt, sondern er versetzt auch das Bürgertum in devote Verzückung. Selbst die so lange skeptischen und oppositionellen Liberalen sind von den Erfolgen Bismarcks überwältigt. Zwei Gruppen der Gesellschaft allerdings stehen dem Reich nach wie vor distanziert gegenüber: die Sozialisten und die Katholiken. Letztere leben nun in einem mehrheitlich protestantisch geprägten Staat. Und die Arbeiterbewegung, die in Gestalt der Sozialdemokratischen Partei zu einer innenpolitischen Kraft heranwächst, bleibt ausgeschlossen.
Die erste große Auseinandersetzung, die Bismarck als Kanzler provoziert und die die deutsche Gesellschaft für lange Zeit spaltet, ist der »Kulturkampf«. Den Hintergrund bildet die Konjunkturkrise, die 1873 nach dem großen Börsenkrach das Wirtschaftswachstum bremst. Die Aktienkurse stürzen in den Keller, eine Welle von Konkursen rollt über das Reich. Die so genannte »Gründerkrise« formt zwei Feindbilder: Der alte, aber sich jetzt neu formende Antisemitismus behauptet, die Juden, angeblich Herren über Banken und Börsen, seien an dem Desaster schuld. Bismarck dagegen, ohnehin immer von Ängsten über irgendwelche Verschwörungen gegen seine Politik und das Reich geplagt, lenkt den Blick auf die Katholiken. Nach der Reichsgründung finden diese sich plötzlich in der Minderheit und sammeln sich in einer politischen Partei, dem Zentrum. Schon bei den ersten Wahlen wird die katholische Partei hinter den Nationalliberalen zweitstärkste Kraft im Reichstag. Für Bismarck ist das nichts anderes als die »Mobilmachung der Partei gegen den Staat«. Zumal der Führer der Zentrums-Fraktion, Ludwig Windthorst, in den Reichstagsdebatten als scharf formulierender Gegner des Kanzlers auftritt. Dieser reagiert harsch. Die Beziehungen zum Vatikan werden auf Eis gelegt, katholische Schulen unterliegen fortan der Staatsaufsicht, der Jesuitenorden wird verboten, Bischöfe und Geistliche werden abgesetzt, und manche von ihnen kommen sogar ins Gefängnis. Schon bald jedoch muss Bismarck zurückrudern, denn er hat die Widerstandskraft der Katholiken unterschätzt. Dank der Unterstützung durch Papst Leo XIII. kommt es 1879 zum Burgfrieden. Was bleibt, ist eine schwere innenpolitische Niederlage für den Kanzler sowie eine bis in die |166| Jahre der Weimarer Republik nachwirkende Distanz des Katholizismus zum deutschen Staat.
Und was wird aus den Arbeitern? Am 23. Mai 1863 gründet sich in Leipzig der Allgemeine deutsche Arbeiterverein. Zum Präsidenten wählen die Delegierten den Rechtsanwalt Ferdinand Lasalle. Ein Jahr später kommt dieser Pionier der deutschen Arbeiterbewegung in einem Duell ums Leben. Seine Idee aber, dass sich die Arbeiter in einer politischen Organisation sammeln müssen, wird zu einer Erfolgsgeschichte. Sechs Jahre nach seinem Tod heben der Drechsler August Bebel und der ehemalige Barrikadenkämpfer von 1848, Wilhelm Liebknecht, in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei aus der Taufe. Im Mai 1875 vereinigen sich die »Lassalleaner« und die »Eisenacher« auf dem Parteitag in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. 1890 wird daraus die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Das Programm, das man in Gotha verabschiedet, fordert die sozialistische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft, die Verbesserung der Lebensbedingungen, Arbeitsschutzgesetze und
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