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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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eine Kontrollinstanz ist, aber kein Reichstagsbeschluss ohne die Zustimmung des von den Monarchen des Reiches beherrschten Bundesrats Gesetzeskraft erlangen kann. »Mit einer solchen Verfassung«, erklärt er im November 1871 im Reichstag, »kann allerdings ein jeder Minister regieren; das ist keine Verfassung für das Volk, das ist weiter nichts als der Scheinkonstitutionalismus in rohester Form.«
    Zu den Schriften, die Bebel veröffentlicht, gehört auch Die Frau und der Sozialismus. Der sozialdemokratische Parteivorsitzende erkennt früher als viele seiner Genossen die wichtige Rolle, die Frauen künftig in der Gesellschaft spielen werden. Mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, zwei rhetorisch und intellektuell begabten Frauen vom linken Parteiflügel, diskutiert er viel und kontrovers. Dabei schätzt er sowohl ihre Persönlichkeit als auch ihr Engagement für die Partei.
    Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bleibt die Lage der Arbeiter überaus schwierig. Zwar steigen die Löhne nach der Reichsgründung an, aber ihnen steht bis 1900 eine Geldentwertung von rund 30 Prozent gegenüber. Armut herrscht in zahlreichen Arbeiterfamilien. Ohne die Mithilfe von Frau und Kindern können sie nicht überleben. Für die Kinder bedeutet das: statt Schulbildung harte Arbeit, zum Beispiel in den engen, feuchten Bergwerksstollen. Knapp 65 Prozent der Industriearbeiter in Sachsen, so weist eine Statistik aus, haben um die Jahrhundertwende ein Jahreseinkommen bis 950 Mark. Davon kann eine vierköpfige Familie nur notdürftig existieren. Um die Not richtig einschätzen zu können, zwei Vergleiche: 57 Prozent der Angestellten haben zum gleichen Zeitpunkt ein Jahreseinkommen von 13 700 Mark, 61 Prozent der Selbstständigen kommen auf 34 800 Mark. Ausgaben für Nahrungsmittel beanspruchen in einer Arbeiterfamilie mit zwei Kindern 55 Prozent des Monatslohns. Für Kleider und Schuhwerk ist da kaum Geld übrig. Im Durchschnitt leben fünf Personen auf einer Wohnfläche von 18 Quadratmetern. Eltern und Kinder wohnen also zusammengepfercht in nicht mehr als einem kleinen Zimmer, ohne Privatsphäre und nur mit dem Allernötigsten versorgt. Dabei sind die Verhältnisse nicht nur beengt, sondern auch kalt, zugig und nicht sehr hygienisch. Wird der Familienernährer |169| krank oder invalide, folgt der endgültige Sturz ins Elend. Eine Spirale der Armut, aus der sich kaum jemand befreien kann.
    Den Kanzler des Kaiserreiches ficht das nicht sonderlich an. In all seinen Regierungsjahren instrumentalisiert Bismarck die Parteien, um seine Interessen durchzusetzen. Dabei geht es ihm nicht in erster Linie um Deutschland, sondern um Preußen und die Machterhaltung der Eliten. Zunächst umwirbt er die Nationalliberalen. Denn die Entwicklung des Kaiserreiches hängt ganz entscheidend davon ab, ob es gelingt, die neuen Schichten aus Wirtschaft, Bildung und Kultur, also das aufstrebende Bürgertum, mit den Kräften der alten Ordnung, dem Adel, den ostpreußischen Gutsherren und den Militärs zu versöhnen. 1848 ist dies misslungen. Um ein neuerliches Scheitern zu verhindern, spannt Bismarck die Liberalen für sich ein. 1879 wendet er sich dann den Konservativen zu und bricht nun öffentlich mit seinen bisherigen Partnern. Das neue Bündnis setzt mit seiner Reichstagsmehrheit Schutzzölle und eine Tabaksteuererhöhung durch.
    In der Außenpolitik hat für Bismarck die Beruhigung der europäischen Mächte oberste Priorität. Er muss die Wogen glätten, die der deutsch-französische Krieg und die Reichsgründung in Europa geschlagen haben. Deutschland sei »saturiert«, lässt er London, Wien und Petersburg wissen. Mit anderen Worten: Man habe keine Ambitionen, neuerlich anzugreifen. Das gilt auch für die Kolonien, die England und Frankreich in Afrika und Asien gründen. Dort besitzen sie gewaltige, teilweise rohstoffreiche Gebiete. Bismarck dagegen überhört zunächst alle Rufe, die auch für Deutschland Kolonien fordern. Einem Befürworter deutscher Kolonialbestrebungen entgegnet er: »Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Russland, und hier liegt Frankreich, und wir sind in der Mitte; das ist meine Karte von Afrika.« Eine sehr vernünftige Haltung, die Bismarck später allerdings aufgeben wird.
    Der Kanzler behält die schwierige mitteleuropäische Lage des Reiches immer im Blick. Deutschland vor übermächtigen feindlichen Koalitionen seiner Nachbarn zu bewahren bildet die Basis seiner

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