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Die Geschichte der Deutschen

Die Geschichte der Deutschen

Titel: Die Geschichte der Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Sternburg
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Bündnispolitik. Er weiß, dass Frankreich auf Revanche und die Rückholung von Elsass-Lothringen sinnt. Deswegen sucht er den Anschluss an Österreich und Russland. Seine Albträume kreisen um eine Mächtekonstellation, die das Reich von Westen und von Osten gefährdet. So entwickelt er ein kompliziertes Koalitionspuzzle: Dreikaiserabkommen mit Russland und Österreich, Zweibundvertrag mit Österreich, Dreikaiservertrag Russland-Österreich-Deutschland, Dreibund Österreich-Italien-Deutschland |170| , Rückversicherungsvertrag mit Österreich. Nach allen Seiten hin absichern, heißt seine Devise.
    Auf diese Weise gelingt es Bismarck, das Kaiserreich vor weiteren Kriegen zu bewahren. Zumindest vorläufig. Denn dass sein System langfristig nur ein Flickwerk sein kann, bleibt einigen seiner Zeitgenossen nicht verborgen. Der engste Bündnispartner, die Habsburg-Monarchie, ist unter den europäischen Großmächten zugleich die schwächste. Der Konflikt um das Erbe des Osmanischen Reiches auf dem Balkan muss irgendwann zwischen Russland und Österreich explodieren. Wird dann der Zar nicht automatisch mit dem auf die Rückeroberung seiner an Deutschland verlorenen Provinzen lauernden Frankreich handelseinig werden? Steht das Reich dann vor einem Zweifronten-Krieg? Als größte Handelsmacht der Welt beherrscht zudem England mit seiner gewaltigen Flotte die Meere. Nur ein Deutschland, das sich mit dem politisch Erreichten begnügt, wird seine exponierte strategische Lage ohne Schaden überstehen können. Der Außenpolitiker Bismarck hat dies gewusst. Seine Nachfolger werden es angesichts der schwindelerregenden Handels- und Industriestatistiken, die sich auf ihren Schreibtischen häufen, vergessen. Sie betreten den Weg des Untergangs.

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Der »Wilhelminismus« oder: Was kostet die Welt?
    Am 22. März 1887 feiert Kaiser Wilhelm I. seinen 90. Geburtstag. 85 Könige, Großherzöge, Großfürsten, Herzöge, Kronprinzen, Prinzen und sonstige Hoheiten erscheinen zur Gratulationskur. 3 000 Berliner Studenten ziehen mit Fackeln am Alten Palais Unter den Linden vorbei. In seinen letzten Lebensjahren erfreut sich der Monarch einer großen Beliebtheit. Der alte Herr, der seine Geschäfte sparsam und bedächtig führt, jovial aus der Kutsche winkend täglich durch den Tiergarten fährt, hat den »Kartätschenprinzen« von 1848 vergessen lassen. Im Herbst ist er zum Flottenbesuch in Kiel und es herrscht stürmisches Wetter. Was ihn nicht davon abhalten kann, sich den Matrosen auf der Kommandobrücke zu zeigen. Von der Erkältung, die er sich bei diesem Besuch holt, wird der Greis sich nicht mehr erholen. Am 9. März 1888 stirbt der Kaiser. Er ist noch ein Kind gewesen, als er 1806 mit seinen Eltern Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise vor Napoleon nach Königsberg fliehen musste und Preußen einen Tiefpunkt seiner Geschichte erreichte. Zum Zeitpunkt seines Todes ist Deutschland unter preußischer Führung eine europäische Großmacht.
    |171| Wilhelms Sohn, der 56-jährige Kronprinz Friedrich, hat lange und ungeduldig auf den Augenblick der Thronbesteigung warten müssen. Als er dann endlich Kaiser wird, ist er ein todkranker Mann. Die Ärzte haben Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Nach 99 Tagen stirbt Kaiser Friedrich III. Dabei haben die Liberalen so viele Hoffnungen in ihn gesetzt. Friedrichs Gattin ist als Tochter der englischen Königin Victoria in der weltoffenen Atmosphäre des damaligen England aufgewachsen. Sie und durch ihren Einfluss auch der Kronprinz leben in ständiger Spannung zum Reichskanzler, dessen konservativer Innenpolitik sie kritisch gegenüberstehen. Aber Friedrich neigt zu romantisch rückwärtsgewandten Vorstellungen, und wie alle Hohenzollern bewundert er das Militär. In den Einigungskriegen gegen Österreich und Frankreich bewährt er sich als Armeeführer. Es ist fraglich, ob sich Deutschland anders entwickelt hätte, wenn Friedrich III. nicht so früh gestorben wäre.
    Sicher ist allerdings, dass Friedrichs Sohn Wilhelm, der nun in den Mittelpunkt der Reichsgeschichte rückt, eine völlig andere Persönlichkeit als der Vater ist. Er besteigt im Alter von 29 Jahren den Thron, und seine Untertanen sind zunächst überaus angetan vom Optimismus und den schwungvollen öffentlichen Auftritten ihres neuen Kaisers. »Mit Volldampf voraus!«, verkündet er am Beginn seiner Herrschaft. Er trifft damit in die Herzen der Deutschen. Sie sind ihres zwar respektierten, aber doch nicht mehr so

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