Die Geschichte der Deutschen
ungeduldig auf Entscheidungen. Bismarck stellt nüchtern fest, dass Kaiser Napoleon nicht mehr Herr der Lage sei, er müsse »vielmehr als abhängig von den Strömungen der Parteileidenschaften betrachtet werden.«
Zwei Jahre nach dem Luxemburger Zwischenspiel entzündet sich neuer Streit. Auf einen Vorschlag Preußens kandidiert ein Hohenzoller für den spanischen Thron. Für Frankreich eine undenkbare Lösung – was Bismarck natürlich weiß. Ob er tatsächlich langfristig auf einen Krieg gegen Frankreich hingearbeitet hat, ist schwer zu sagen. Riskiert hat er ihn mit seinen permanenten Provokationen sicherlich. Zumal er nach dem Sieg über Österreich zu seiner Enttäuschung registrieren muss, dass die süddeutschen Staaten, allen voran das Königreich Bayern, nicht seinen Erwartungen entsprechen und begeistert den Anschluss an den Norddeutschen Bund suchen. Das mag ihn endgültig davon überzeugen, dass seine Reichspläne ohne Krieg mit Frankreich nicht zu realisieren sind. Jedenfalls erklärt er schon Anfang 1870 einem Gesprächspartner gegenüber, der Krieg mit Frankreich sei »eine unabweisliche Notwendigkeit«.
Was folgt, ist ein Kabinettsstück Bismarckscher Schläue und Skrupellosigkeit. Als am 2. Juli die Thronkandidatur des Hohenzollern öffentlich bekannt wird, erklärt der preußische Ministerpräsident, das sei eine rein dynastische Angelegenheit, damit hätten er und sein König nichts zu tun. In Frankreich bricht ein |162| Sturm aus. Der Außenminister erklärt im Parlament, es gehe um das europäische Gleichgewicht und noch mehr um Frankreichs Ehre. Die Presse überschlägt sich und ruft die Regierung mit populistischen Schlagzeilen zu Taten auf. Bismarck ist zufrieden. Es läuft alles so, wie er es erhofft hat.
Fast alles: Angesichts der europaweiten Diskussion über die spanische Thronfolge fühlt sich der arme hohenzollerische Kandidat unter Druck. Schließlich erklärt er seinen Verzicht. Bismarck ist wütend und glaubt seine Pläne seien durchkreuzt worden. Da kommt ihm die emotional aufgeputschte französische Öffentlichkeit zu Hilfe. Der Thronverzicht allein reicht ihr nicht; die Regierung steht einem Kriegsfieber gegenüber, das ganz Frankreich erfasst hat. Sie reagiert. Während eines Kuraufenthaltes des preußischen Königs in Bad Ems überreicht der französische Botschafter ein Schreiben, in dem von Wilhelm ein ausdrücklicher und »ewiger« Verzicht der Hohenzollern auf den spanischen Thron gefordert wird. Zudem soll er bitte öffentlich erklären, er habe die Ehre und die Interessen Frankreichs nicht verletzen wollen. Der König weist ein solches Ansinnen in gemäßigter, aber entschiedener Form zurück. Als Bismarck das Telegramm erhält, in dem ihm Wilhelm die Sache schildert, gibt er dem Text durch geschickte Verkürzungen eine dramatische Zuspitzung. »Seine Majestät der König hat es darauf abgesehen, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen zu lassen, dass seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.« Bismarck hat Paris ganz bewusst provoziert. Er hält den Krieg im Interesse Preußens für nötig und die politischen Umstände erscheinen ihm im Sommer 1870 dafür günstig. Frankreich aber soll vor aller Welt als der Aggressor dastehen. Nach der Veröffentlichung dieser Fassung der »Emser Depesche« erklärt der französische Außenminister Antoine Gramont erregt, dies sei ein Schlag ins Gesicht Frankreichs. Napoleon III. reagiert am 19. Juli mit einer Kriegserklärung.
Der Kaiser ist zu dieser Zeit schon krank und verbraucht. Er ahnt, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Aber die öffentliche Meinung ist seit Jahren erregt, und Bismarcks Politik hat den französischen Nationalismus endgültig zum Sieden gebracht. Napoleon III. hat keine andere Wahl. Bismarcks Bewunderer preisen ihn wegen dieser Ausgangslage zu Kriegsbeginn als großen Diplomaten und gewieften Strategen. Die vielen toten jungen Männer, die auf den Schlachtfeldern zurückgeblieben sind, haben davon nicht viel gehabt.
Der Krieg dauert sechs Monate, aber der Sieger steht schon nach wenigen Wochen fest, denn Napoleon ist allein. Er hat auf die Hilfe Österreichs gehofft, mit dem man seit Jahren über ein Bündnis verhandelt. Als es zum Schwur |163| kommt, erklärt Wien jedoch, nur wenn Russland an die Seite Preußens trete, werde es zu den Waffen greifen. Petersburg bestätigt Berlin auf Anfrage, es werde mit 300 000 Mann in
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