Die Geschichte der Deutschen
abschließen möchte.
Im Jahr 1900 bricht in China der Boxeraufstand gegen die Fremdherrschaft im Land aus. Die von Ausländern gebauten Eisenbahnlinien werden zerstört, Konsulate gestürmt und der deutsche Gesandte von Ketteler wird in den Straßen Pekings ermordet. Der Kaiser schickt seine Soldaten mit martialischen Worten auf den Rachefeldzug: »Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, der sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht ... so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahren durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.« Es ist ein internationales Expeditionskorps, das nach China geschickt wird. Nach Wilhelms unsäglichen Sätzen spricht dennoch bald alle Welt von den »deutschen Hunnen«.
Doch es kommt noch schlimmer. 1908 gibt der Kaiser einem englischen Journalisten ein Interview. In ihm erklärt Wilhelm, er sei in Deutschland der einzige Freund Englands. Er sei es schließlich gewesen, der den Plan für den siegreichen |177| Feldzug gegen die Buren ausgearbeitet habe. Natürlich sei es auch seinem Eingreifen zu verdanken, dass Russland und Frankreich die Buren nicht unterstützt hätten. Die beiden germanischen Kernstaaten – England und Deutschland – sollten im Übrigen gemeinsam gegen die asiatische Bedrohung Japan vorgehen, statt sich gegenseitig zu bekämpfen. Die Veröffentlichung im Daily Express schlägt in den Hauptstädten der Welt wie eine Bombe ein. Wilhelm hat sich zwischen alle Stühle gesetzt.
Eine Erklärung für all diese Eskapaden und Wilhelms anstrengenden Charakter ist sicher in seiner schweren Jugend und den besonderen Verhältnissen am Kaiserhof zu finden. Durch einen Fehler bei seiner Geburt ist der linke Arm steif und etwas verkürzt. Seine Eltern versuchen diese im Grunde kleine Missbildung durch ein hartes körperliches Training zu korrigieren. Als Erzieher engagiert das Kronprinzenpaar für Wilhelm den Calvinisten und Pädagogen Georg Hinzpeter. Seine Ideale ähneln denen der antiken Spartaner. Ein humorloser, strenger Mann ist er, der Härte und Disziplin für das Beste hält. Die Reitstunden werden für Wilhelm zur Qual. So oft er auch vom Pony fällt, er muss wieder aufsitzen, ohne Zaumzeug und Sattel reiten, was ihm durch den steifen linken Arm verständlicherweise schwer fällt. Später ist er ein guter Reiter, aber der Weg dahin hat seine Spuren hinterlassen.
Die Enttäuschung der Mutter über die Entwicklung des aufbrausenden, sich ihr gegenüber immer kälter zeigenden Sohns wächst schon in den Kinderjahren, was sie Wilhelm durchaus spüren lässt. Die Entfremdung zum Elternhaus verstärkt sich durch die politischen Differenzen. Der junge Wilhelm bewundert und liebt den konservativen Großvater, den alten Wilhelm I., und Bismarck. Die liberalen Auffassungen des Kronprinzenpaars, vor allem der Mutter, der ständige Streit zwischen dem Kaiser und Friedrich, die kritischen Äußerungen der Eltern über Bismarck und seine Politik sehen den jungen Prinzen stets auf der Seite des Kaisers und seines Kanzlers. Überhaupt wächst Wilhelm in komplizierten emotionalen Beziehungen auf. Der Liebesentzug der Mutter ist vielleicht ein Hinweis auf seine Gefühlskälte. Die Verwöhnung durch den Großvater und die Hofleute, die in ihm natürlich den künftigen Herrscher sehen, unterstützt den Hochmut eines ohnehin umschmeichelten Hochgeborenen. Der körperlichen Behinderung steht ständig die Forderung nach Männlichkeit und militärischer Haltung gegenüber. Die Spannung, die daraus erwächst, überspielt er später mit seinen markigen und forschen Formulierungen.
Die innere Unsicherheit des Kaisers zeigt sich auf besondere Art in seinem |178| Verhältnis zu England. Er liebt seine Großmutter, Königin Victoria, sehr. Sein Leben lang ringt Wilhelm um den Respekt und die Liebe der englischen Verwandten. Eine Mischung aus Neid und Liebesbuhlen lässt ihn ständig zwischen Hasstiraden und bewundernder Anerkennung hin und her schwanken. Die unterkühlten Beziehungen zu seinem Onkel Edward, dem Prince of Wales und ab 1901 englischen König, sind aus einem persönlichen Konkurrenzmoment heraus geboren. Edward, ein Freund Pariser Ballsäle und freizügiger Damen, kann mit dem immer etwas angeberischen und moralisierenden Neffen herzlich wenig anfangen. Auch das ist den
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