Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
in der Wildnis überlebt hatten, kamen schließlich, um Zuflucht bei Thingol zu suchen, und die Grenzwachen brachten sie zum König. Die einen sagten, die Feinde seien allesamt nach Norden abgezogen, andere dagegen, Glaurung hause noch in Felagunds Hallen. Und einige meinten, der Mormegil sei tot, andere wiederum, er sei unter den Bann des Drachen gefallen und stehe noch dort wieversteinert. Alle aber erklärten, in Nargothrond sei vor dem Ende allenthalben bekannt gewesen, dass das Schwarze Schwert niemand anderer sei als Túrin, der Sohn Húrins von Dor-lómin.
Da waren Morwens und Nienors Kummer und Sorge groß, und Morwen sagte: »Diese Ungewissheit ist bestimmt Morgoths Werk! Besser wäre es, die Wahrheit zu erfahren, und sei sie auch noch so schlimm.«
Nun hatte Thingol selbst großes Verlangen, mehr über das Schicksal von Nargothrond in Erfahrung zu bringen, und er hatte bereits erwogen, einige Männer heimlich dorthin zu schicken. Er aber glaubte, dass Túrin wirklich tot oder rettungslos verloren war, und mit Unbehagen sah er der Stunde entgegen, in der Morwen die Wahrheit erfahren würde. Deshalb sagte er zu ihr: »Dies ist ein gefährliches Unterfangen, Herrin von Dor-lómin, das wohl erwogen werden muss. Eine solche Ungewissheit könnte wahrhaftig von Morgoth geplant sein, um uns zur Unbesonnenheit zu verleiten.«
Doch Morwen rief in ihrer Verzweiflung: »Unbesonnenheit, Herr? Vielleicht irrt mein Sohn hungrig in den Wäldern umher, oder er ist in Fesseln geschlagen, oder sein Leichnam liegt unbestattet da. Und da soll ich nicht unbesonnen sein? Ich werde keine Zeit verlieren und mich auf die Suche nach ihm machen.«
»Herrin von Dor-lómin«, erwiderte Thingol, »das wäre sicherlich nicht der Wunsch von Húrins Sohn. Er würde meinen, dass du hier, in der Obhut Melians, besser aufgehoben bist als irgendwo sonst. Um Húrins und Túrins willen werde ich dich in der dunklen Gefahr dieser Tage nicht draußen umherwandern lassen.«
»Du hast Túrin nicht vor der Gefahr bewahrt, mich aberwillst du von ihm fernhalten«, rief Morwen. »In der Obhut Melians! Ja, als Gefangene des Gürtels. Lange habe ich gezögert, bevor ich hierherkam, und jetzt bereue ich es.«
»Genug, Herrin von Dor-lómin«, sagte Thingol. »Wenn du so sprichst, so wisse: Der Gürtel ist offen. Aus freien Stücken bist du hierher gekommen, und es steht dir frei, zu bleiben – oder zu gehen.«
Darauf sprach Melian, die bisher geschwiegen hatte: »Geh nicht von hier fort, Morwen. Du hast wahr gesprochen: Diese Ungewissheit stammt von Morgoth. Wenn du gehst, vollstreckst du seinen Willen.«
»Furcht vor Morgoth wird mich nicht abhalten, wenn mein Fleisch und Blut mich ruft«, antwortete Morwen. »Doch wenn du um mich fürchtest, Herr, dann gib mir einige deiner Leute mit.«
»Über dich habe ich nicht zu bestimmen«, sagte Thingol, »aber für meine Leute bin ich verantwortlich. Ich werde sie ausschicken, wie es mir richtig erscheint.«
Darauf sagte Morwen nichts mehr, sondern weinte und ging weg. Thingol war es schwer ums Herz, denn ihm schien, als sei Morwens Gemüt von Unheil überschattet. Er fragte Melian, ob sie Morwen nicht durch ihre Macht zurückhalten könne. »Gegen das Eindringen des Bösen vermag ich etwas auszurichten«, gab sie zur Antwort, »aber gegen das Fortgehen jener, die gehen wollen, nichts. Das ist deine Aufgabe. Wenn sie hierbleiben soll, musst du sie mit Gewalt zurückhalten. Doch gehst du dabei die Gefahr ein, ihren Willen zu brechen.«
Morwen ging nun zu Nienor und sagte: »Lebe wohl, Tochter Húrins. Ich gehe, um meinen Sohn zu suchen oder Gewissheit über sein Schicksal zu erlangen, weil niemand hier etwas tun will, sondern alle nur abwarten, bis es zu spät ist. Warte hier auf mich, bis ich zurückkehre – wenn ich kann.«
Da wollte Nienor, von Furcht und Kummer ergriffen, sie zurückhalten, aber Morwen ging nicht darauf ein, sondern zog sich in ihre Kammer zurück, und als der Morgen graute, hatte sie ein Pferd genommen und war fortgeritten.
Nun hatte Thingol befohlen, dass niemand sie aufhalten oder ihr auf irgendeine Weise nachstellen sollte. Aber sobald sie fort war, stellte er eine Abteilung der tapfersten und erfahrensten seiner Grenzwachen zusammen und berief Mablung zu ihrem Führer.
»Folgt ihr nun rasch«, sagte er, »doch gebt Acht, dass sie euch nicht bemerkt. Wenn sie aber in der Wildnis ist und ihr Gefahr droht, gebt euch zu erkennen. Wenn sie nicht umkehren will, beschützt sie,
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