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Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.

Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.

Titel: Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ronald Reuel Tolkien
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erstieg sie den Pfad, der sich von Osten hinaufzog. Während des Aufstiegs wurde der Nebel lichter, bis sie schließlich auf dem kahlen Gipfel ins Sonnenlicht trat. Sie trat vor und blickte nach Westen. Und dort, unmittelbar vor ihr, war der gewaltige Kopf Glaurungs, der gerade von der anderen Seite heraufgekrochen war. Und ehe sie sich versah, blickten ihre Augen in die seinen, und sie waren furchtbar, erfüllt vom grausamen Geist seines Meisters Morgoth.
    Stark waren der Wille und das Herz Nienors, und sie wehrte sich heftig gegen Glaurung; aber er setzte seine Macht gegen sie ein. »Was suchst du hier?«, fragte er.
    Und wie unter einem Zwang antwortete sie: »Ich suche einen namens Túrin, der sich eine Zeitlang hier aufhielt. Aber vermutlich ist er tot.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Glaurung. »Er wurde hier zurückgelassen, um die Frauen und Schwächlinge zu verteidigen. Aber als ich kam, ließ er sie im Stich und floh. Ein Großmaul, aber ein Feigling, wie es scheint. Warum suchst du solch einen Mann?«
    »Du lügst«, sagte Nienor. »Die Kinder Húrins sind zumindest keine Feiglinge. Wir haben keine Furcht vor dir.«
    Da lachte Glaurung, denn auf diese Weise hatte sich Húrins Tochter seiner Tücke zu erkennen gegeben. »Dann seid ihr Narren, du und dein Bruder«, sagte er. »Und deine Prahlerei soll vergeblich sein, denn ich bin Glaurung!«
    Dann zwang er sie, in seine Augen zu blicken, und ihre Willenskraft schwand dahin. Und ihr war, als werde die Sonne schwächer und ringsum alles düster; allmählich überkam sie ein großes Dunkel, und in diesem Dunkel war Leere: Sie wusste nichts, hörte nichts und erinnerte sich an nichts mehr.
    Lange erkundete Mablung die Hallen Nargothronds, so gut er es bei der Dunkelheit und dem Gestank vermochte; aber er fand dort kein lebendes Wesen mehr vor. Nichts rührte sich inmitten der Gebeine, und niemand antwortete auf seine Rufe. Niedergedrückt durch den grauenhaften Anblick des Ortes und fürchtend, Glaurung könne zurückkehren, ging er schließlich wieder zu den Toren zurück. Im Westen sank die Sonne, und die Schatten der Faroth im Hintergrund lagen schwarz auf den Terrassen und dem tosenden Fluss in der Tiefe. Doch in der Ferne, unterhalb des Amon Ethir, glaubte er die widerwärtige Gestalt des Drachen erkennen zu können. In seiner Eile und Furcht gestaltete sich die Rückkehr über den Narog noch schwieriger und gefährlicher als der Hinweg, und kaum hatte Mablung das Ostufer erreicht und war in ein Versteck gekrochen, als Glaurungnahte. Doch jetzt kam er langsam und verstohlen, denn alle Feuer in seinem Innern waren niedergebrannt: Seine große Kraft hatte ihn verlassen, und es verlangte ihn nach Ruhe und Schlaf in der Dunkelheit. So wand er sich durch das Wasser und schlich wie eine ungeheure aschgraue Schlange zu den Toren hinauf, und sein Bauch überzog den Boden mit Schleim.
    Doch bevor er hineinglitt, wandte er sich um, blickte nach Osten zurück, und es entrang sich ihm das Gelächter Morgoths, schwach, aber entsetzlich wie ein bösartiges Echo aus den schwarzen Tiefen in weiter Ferne. Und dem Lachen folgte diese kalte und leise Stimme: »Da liegst du wie eine Wühlmaus unter dem Ufer, Mablung, du Mächtiger! Schlecht führst du Thingols Aufträge aus. Eile nun zum Hügel zurück und sieh, was aus deinen Schützlingen geworden ist.«
    Dann zog sich Glaurung in sein Versteck zurück, und die Sonne ging unter, und ein grauer Abend legte sich frostig auf das Land. Mablung aber hastete zum Amon Ethir zurück, und als er zur Kuppe hinaufstieg, gingen im Osten die Sterne auf. Oben sah er gegen die Sterne eine dunkle, reglose Gestalt stehen, wie aus Stein gemeißelt. So verharrte Nienor, und sie hörte nichts von dem, was er sagte, und gab ihm keine Antwort. Aber als er sie schließlich bei der Hand nahm, regte sie sich und ließ es zu, dass er sie wegführte. Und solange er sie hielt, folgte sie, ließ er sie aber los, blieb sie stehen.
    Da waren Mablungs Kummer und Verwirrung groß, doch er hatte keine andere Wahl, als Nienor auf diese Weise, ohne weitere Hilfe und Begleitung, auf den langen Weg nach Osten zu führen. So gingen sie denn fort, wandelnd wieTräumende, hinaus auf die nachtdunkle Ebene. Und als der Morgen dämmerte, strauchelte Nienor, fiel und lag stumm da; und verzweifelt setzte Mablung sich neben sie.
    »Nicht ohne Grund habe ich diesen Auftrag gefürchtet«, sagte er. »Denn er wird mein letzter sein, wie es scheint. Gemeinsam mit diesem

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