Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
wäre all unsere Hoffnung zunichte. Aber jetzt treiben ihn sein rasender Zorn und seine Boshaftigkeit Hals über Kopf voran.« Doch im selben Augenblick, als er diese Worte aussprach, wunderte er sich und fragte sich im Stillen: »Kann es sein, dass ein so bösartiges und grausames Wesen die Stege ebenso meidet, wie die Orks es taten? Haudh-en-Elleth! Liegt Finduilas noch immer zwischen mir und meinem Schicksal?«
Dann wandte er sich an seine Gefährten und sagte: »Folgende Aufgabe liegt nun vor uns: Wir müssen noch ein wenig warten, denn in diesem Fall wäre zu früh zu handeln ebenso übel wie zu spät. Wenn es dämmert, müssen wir uns in aller Heimlichkeit zum Teiglin hinabschleichen. Aber nehmt euch in Acht! Denn Glaurungs Ohren sind ebenso scharf wie seine Augen, und diese sind tödlich. Wenn wir den Fluss unbemerkt erreichen, müssen wir in die Schlucht hinunterklettern, das Wasser überqueren und so auf den Weg gelangen, den er einschlagen wird, wenn er weiterzieht.«
»Aber wie will er das bewerkstelligen?«, fragte Dorlas. »Er mag ja geschmeidig sein, aber er ist ein großer Drache, und wie soll er die eine Klippe hinunter- und die andere wieder hinaufklettern, wenn doch der vordere Teil schon wieder hochklettern muss, während der hintere noch hinabsteigt? Und wenn ihm dies gelingt, was nützt es uns, wenn wir uns unten im reißenden Wasser befinden?«
»Vielleicht gelingt es ihm«, antwortete Turambar, »und wenn er es wirklich tut, steht es schlecht um uns. Aber das, was wir von ihm wissen, und der Ort, an dem er jetzt liegt,geben mir die Hoffnung, dass seine Absicht eine andere ist. Er ist zum Rand der Cabed-en-Aras gekommen, über die, wie ihr sagt, einst ein Hirsch auf der Flucht vor den Jägern Haleths hinwegsetzte. Glaurung ist jetzt so groß, dass er vermutlich versuchen wird, sich über die Schlucht zu schnellen. Dies ist unsere ganze Hoffnung, und auf sie müssen wir vertrauen.«
Bei diesen Worten sank Dorlas der Mut, denn besser als jeder andere kannte er das Land Brethil, und Cabed-en-Aras war in der Tat ein furchtbarer Ort. Auf ihrer Westseite war eine senkrechte, nackte, ungefähr vierzig Fuß hohe Klippe, auf ihrem Scheitel von Bäumen bestanden; auf der anderen Seite war das Flussufer etwas weniger steil und hoch, mit hängenden Bäumen und Buschwerk bedeckt, doch dazwischen schoss der Fluss tosend durch die Felsen. Und auch wenn ein unerschrockener und trittsicherer Mann ihn bei Tage überqueren konnte, war es gefährlich, dies bei Nacht zu versuchen. Doch genau dies war Turambars Plan, und es war sinnlos, ihm zu widersprechen.
Also brachen sie in der Dämmerung auf, und sie gingen nicht geradewegs auf den Drachen los, sondern schlugen zuerst den Weg zu den Stegen ein. Bevor sie diese erreichten, wandten sie sich auf einem schmalen Pfad nach Süden und kamen in das Dämmerlicht der Wälder oberhalb des Teiglin. Und als sie sich der Cabed-en-Aras näherten, Schritt für Schritt und oft stehenbleibend, um zu lauschen, zog ihnen Brandgeruch entgegen und ein Gestank, der ihnen Übelkeit bereitete. Doch alles war tödlich still, und kein Lüftchen regte sich. Die ersten Sterne schimmerten im Osten vor ihnen, und dünne Rauchfahnen erhoben sich kerzengerade und unbeweglich gegen das letzte Licht im Westen.
Als Turambar gegangen war, stand Níniel stumm wie ein Stein, doch Brandir kam zu ihr und sagte: »Befürchte nicht das Schlimmste, Níniel, bevor du Anlass dazu hast. Aber habe ich dir nicht geraten zu warten?«
»Das hast du«, antwortete sie. »Doch was sollte das jetzt nützen? Denn die Liebe kann bleiben und unvermählt leiden.«
»Das weiß ich«, sagte Brandir. »Trotzdem ist eine Heirat nicht folgenlos.«
»Nein«, sagte Níniel. »Denn ich trage nun seit zwei Monaten sein Kind in mir. Aber es kommt mir nicht so vor, als sei meine Furcht, ihn zu verlieren, darum minder schwer zu ertragen. Ich verstehe dich nicht.«
»Ich verstehe mich selbst nicht«, sagte er. »Und doch habe ich Angst.«
»Was für ein Tröster bist du!«, rief sie aus. »Brandir, mein Freund, ob vermählt oder nicht, ob Mutter oder Jungfrau, meine Furcht übersteigt das, was ich ertragen kann. Der Meister des Schicksals ist ausgezogen, um weit weg von hier sein Schicksal herauszufordern. Wie soll ich hier ausharren und darauf warten, dass allmählich Nachrichten eintreffen, gute oder schlechte? Vielleicht wird er heute Nacht auf den Drachen treffen, und wie soll ich, ob im Stehen oder Sitzen, die
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