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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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leid, sagte Bernard. Ich wünschte, ich spräche Jiddisch, schade. Aber ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Es war beeindruckend, zu sehen, wie viele Menschen hergekommen sind. Isaac hätte sich gefreut. Er nahm meine Hand zwischen seine beiden und schüttelte sie. Er wandte sich zum Gehen.
    Slonim , sagte ich. Das war nicht geplant. Und doch.
    Bernard drehte sich wieder um.
    Wie bitte?
    Ich sagte es noch einmal.
    Ich komme aus Slonim , sagte ich.
    Slonim? , wiederholte er.
    Ich nickte.
    Plötzlich sah er aus wie ein Kind, dessen Mutter sich beim Abholen verspätet hat und das erst jetzt, wo sie da ist, in Tränen ausbricht.
    Sie hat uns immer davon erzählt.
    Wer ist sie? , fragte der Pitbull.
    Meine Mutter. Er kommt aus derselben Stadt wie meine Mutter, sagte Bernard. Ich habe so viele Geschichten gehört.
    Ich wollte seinen Arm tätscheln, aber er bewegte sich, um sich etwas aus dem Auge zu wischen, mit dem Ergebnis, dass ich seine Männerbrust zu tätscheln bekam. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, kniff ich hinein.
    Der Fluss, richtig? Wo sie schwimmen ging, sagte Bernard.
    Das Wasser war eisig. Wir zogen unsere Keider aus und stürzten uns, Zeter und Mordio schreiend, im Hechtsprung von der Brücke. Unsere Herzen standen still. Unsere Körper wurden zu Stein. Einen Augenblick glaubten wir zu ertrinken. Wenn wir nach Luft japsend die Böschung wieder hinaufkletterten, waren unsere Beine schwer, Schmerz schoss durch die Knöchel. Deine Mutter war dünn, mit kleinen blassen Brüsten. In der Sonne trocknend, schlief ich ein und erwachte durch den Schock eiskalten Wassers auf dem Rücken. Und ihr Gelächter.
    Kannten Sie das Schuhgeschäft ihres Vaters? , fragte Bernard.
    Jeden Morgen holte ich sie dort ab, und wir gingen zusammen zur Schule. Außer in der Zeit, als wir Streit hatten und drei Wochen nicht miteinander sprachen, gab es kaum einen Tag, an dem wir nicht zusammen gingen. In der Kälte gefror ihr nasses Haar zu Eiszapfen.
    Ich bin so voll von all den Geschichten, die sie uns immer erzählt hat. Das Feld, auf dem sie spielte.
    Tja , sagte ich, seine Hand tätschelnd. Das Feld.
    Eine Viertelstunde später saß ich eingequetscht zwischen dem Pitbull und einer jungen Frau hinten in einer Stretchlimousine; man möchte meinen, ich machte es mir zur Gewohnheit. Wir fuhren zu Bernards Haus, wo sich Verwandte und Freunde im kleinen Kreis versammeln wollten. Ich wäre lieber zum Haus meines Sohnes gefahren, um inmitten seiner Sachen zu trauern, aber ich musste mich mit dem seines Halbbruders begnügen. Auf dem Sitz mir gegenüber in der Limousine saßen noch zwei andere. Als einer in meine Richtung nickte und lächelte, nickte und lächelte ich zurück. Ein Verwandter von Isaac? , fragte der eine. Scheint so , erwiderte der Pitbull, nach einer Haarlocke tastend, die im Luftzug des Fensters wedelte, das die Frau soeben heruntergelassen hatte.
    Es dauerte fast eine Stunde bis zu Bernards Haus. Irgendwo auf Long Island. Wunderschöne Bäume. So schöne Bäume hatte ich noch nie gesehen. Draußen in der Einfahrt hatte einer von Bernards Neffen seine Hosenbeine bis zu den Knien aufgeschlitzt und rannte in der Sonne hin und her, um zu sehen, wie sich der Wind in ihnen fing. Drinnen im Haus standen Menschen um einen mit Essen voll geladenen Tisch und redeten über Isaac. Ich wusste, da gehörte ich nicht hin. Ich kam mir vor wie ein Narr und ein Hochstapler. Ich stand am Fenster, machte mich unsichtbar. Ich hatte nicht gedacht, dass es so schmerzlich sein würde. Und doch. Fremde Leute über den Sohn, den ich mir nur hatte vorstellen können, reden zu hören, als wäre er ihnen vertraut wie ein Verwandter, ging fast über das Maß des Erträglichen hinaus. Also stahl ich mich davon. Ich wanderte durch die Zimmer des Hauses von Isaacs Halbbruder. Ich dachte: Über diesen Teppich ist Isaac gegangen. Ich kam in ein Gästezimmer. Ich dachte: Hin und wieder hat er in diesem Bett geschlafen. In genau diesem Bett! Mit dem Kopf auf diesen Kissen. Ich legte mich hin. Ich war müde, ich konnte nicht anders. Das Kissen senkte sich unter meiner Wange. Und während er hier lag, dachte ich, sah er aus genau diesem Fenster auf genau diesen Baum.
    Du bist so ein Träumer , sagt Bruno, und vielleicht bin ich das. Vielleicht träumte ich auch dies, und gleich würde es an der Tür klingeln, ich würde die Augen aufschlagen, und Bruno stünde da, um nach einer Rolle Klopapier zu fragen.
    Ich muss eingeschlafen sein, denn als

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