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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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abzuwaschen. Und mit allem, was ich wegräumte, mit jedem Topf, jeder Pfanne, jedem Löffel, räumte ich einen unerträglichen Gedanken weg, bis sich Küche und Kopf in synchroner Ordnung befanden. Und doch.
    Shlomo Wasserman war Ignacio da Silva geworden. Die Figur, die ich Duddelsach genannt hatte, hieß jetzt Rodriguez. Feingold war De Biedma. Das alte Slonim wurde Buenos Aires, und eine Stadt, von der ich noch nie gehört hatte, stand für Minsk. Es war beinahe komisch. Aber: Ich lachte nicht.
    Ich untersuchte die Handschrift auf dem Umschlag. Kein Begleitschreiben. Ich schwöre: Ich habe fünf- oder sechsmal nachgeschaut. Kein Absender. Ich hätte Bruno gefragt, wenn ich angenommen hätte, er könnte mir etwas dazu sagen. Wenn Päckchen kommen, lässt der Hausmeister sie gewöhnlich auf dem Tisch im Eingang liegen. Sicher hatte Bruno es gesehen und mitgenommen. Es ist immer ein Ereignis, wenn für einen von uns etwas kommt, was nicht in den Briefkasten passt. Ich glaube, das letzte Mal war über zwei Jahre her. Bruno hatte ein mit Verzierungen beschlagenes Hundehalsband bestellt. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass er kürzlich einen Hund mit nach Hause gebracht hatte. Ein kleines Hündchen, warm und kuschelig, etwas zum Liebhaben. Er nannte es Bibi. Komm, Bibi, komm! , hörte ich ihn rufen. Aber: Bibi kam nicht. Dann, eines Tages, ging er mit ihr zum Hundeauslaufplatz. Vamos, chico! , rief jemand seinen Hund, und schon rannte Bibi zu dem Puertoricaner hinüber. Komm, Bibi, komm! , schrie Bruno, aber vergeblich. Er änderte die Taktik. Vamos, Bibi! , brüllte er aus Leibeskräften. Und siehe da, Bibi kam angerannt. Sie bellte die ganze Nacht und schiss ihm die Wohnung voll, aber er liebte sie.
    Wieder ging er mit ihr zum Auslauf. Bibi tollte, schiss und schnüffelte, und Bruno betrachtete sie stolz. Das Tor öffnete sich einem Irish Setter. Bibi warf einen Blick. Und ehe Bruno wusste, was geschah, schoss sie durchs offene Tor und verschwand die Straße hinunter. Er versuchte, sie zu fangen. Lauf!, sagte er sich. Die Erinnerung ans Rennen durchzuckte seine Glieder, aber der Körper machte nicht mit. Schon bei den ersten Schritten verhaspelte er sich und stolperte über seine eigenen Beine. Vamos, Bibi! , schrie er. Und doch. Niemand kam. In seiner Stunde der Not – zusammengebrochen am Straßenrand, während Bibi ihn als das verriet, was sie nun einmal war: ein Tier – saß ich daheim und hackte auf meine Schreibmaschine ein. Am Boden zerstört kam er nach Hause. Abends gingen wir zum Auslauf zurück, um auf sie zu warten. Sie kommt bestimmt wieder , sagte ich. Aber: Sie kam nicht. Das ist zwei Jahre her, und er geht immer noch hin und wartet.
    Ich versuchte, den Dingen einen Sinn zu geben. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das immer versucht. Es könnte meine Grabschrift sein. LEO GURSKY: ER VERSUCHTE, SINN ZU STIFTEN.
    Die Nacht brach herein, und ich tappte noch immer im Dunkeln. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Mr.   Tong fiel mir ein. Der Chinese, nicht die Taube. Ich rief ihn an. Zwanzig Minuten später war ich allein mit meinen Frühlingsrollen. Ich stellte das Radio an. Sie baten um Spenden. Zum Dank bekam man eine Klobürste mit der Aufschrift WNYC.
    Es gibt Dinge, die ich schwer beschreiben kann. Trotzdem plage ich mich weiter damit ab, wie ein störrischer Esel. Einmal kam Bruno herunter und sah mich am Küchentisch vor der Schreibmaschine sitzen. Wieder das Ding? Der verrutschte Kopfhörer hing wie ein halbierter Heiligenschein über seinem Schädel. Ich knetete meine Knöchel über dem Dampf der Teetasse. Ein wahrer Vladimir Horowitz , bemerkte er auf dem Weg zum Kühlschrank. Er beugte sich vor und kramte nach was auch immer. Ich zog ein neues Blatt in die Maschine ein. Er drehte sich um, während die Kühlschranktür noch offen stand, einen Milchbart auf der Oberlippe. Spielen Sie nur weiter, Maestro , sagte er, setzte sich den Kopfhörer auf die Ohren, machte im Vorbeigehen das Licht über dem Tisch an und schlurfte zur Tür. Die Strippe pendelte vor meinen Augen hin und her, während ich der Stimme Molly Blooms lauschte, die ihm in die Ohren dröhnte: ES GEHT DOCH NICHTS ÜBER SO EINEN KUSS LANG UND HEISS GEHT EINEM RUNTER BIS IN DIE SEELE JA LÄHMT EINEN FAST. Bruno hört jetzt nur noch sie und verschleißt dabei das ganze Band.
    Wieder und wieder las ich in den Seiten des Buches, das ich als junger Mann geschrieben hatte. Es war so lange her. Ich war naiv gewesen. Ein

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