Die Geschichte der Liebe (German Edition)
verliebter Zwanzigjähriger. Geschwollenes Herz und ein ebensolcher Kopf. Ich glaubte, ich könnte alles tun! So seltsam das nun, da ich alles getan und hinter mir habe, erscheinen mag.
Ich dachte: Wie hat es überlebt? Soviel ich wusste, war das einzige Exemplar einer Überschwemmung zum Opfer gefallen. Ich meine, wenn man die Auszüge nicht mitzählt, die ich dem Mädchen, das ich liebte, in Briefen zukommen ließ, als sie nach Amerika gefahren war. Ich konnte nicht widerstehen, ihr meine besten Seiten zu schicken. Aber: Es war nur ein kleiner Teil. Und hier, in meinen Händen, lag fast das ganze Buch! Irgendwie auf Englisch! Mit spanischen Namen! Nicht zu fassen.
Ich saß schiwe , trauerte um meinen Isaac, und während ich so dasaß, versuchte ich zu begreifen. Allein in meiner Wohnung, die Seiten auf meinem Schoß. Aus der Nacht wurde Tag, Nacht und wieder Tag. Bald schlief ich, und bald wachte ich. Aber: Ich kam der Erschließung des Geheimnisses nicht näher. Und das mir, dem Schlosser. Ich bekam jede Tür in der ganzen Stadt auf. Nur mir selbst konnte ich gar nichts erschließen.
Ich entschied, eine Liste aller meiner noch lebenden Bekannten zu machen, damit ich keinen vergaß. Ich beschäftigte mich mit der Suche nach Stift und Papier. Dann setzte ich mich hin, strich das Papier glatt und senkte die Feder. Aber: Leere in meinem Gehirn.
Stattdessen schrieb ich: Fragen an den Absender. Dies unterstrich ich zweimal. Ich fuhr fort:
1. Wer bist du?
2. Wo hast du dies gefunden?
3. Wie hat es überlebt?
4. Warum ist es auf Englisch?
5. Wer hat es sonst gelesen?
6. Fanden sie es gut?
7. Ist die Zahl der Leser größer oder kleiner als –
Ich hielt inne und überlegte. Gab es eine Zahl, die mich nicht enttäuschen würde?
Ich sah aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite bog sich ein Baum im Wind. Es war Nachmittag, die Kinder lärmten. Ich höre ihre Lieder gern. Dies ist ein Spiel. Zum Konzentrieren , singen die Mädchen und klatschen. Zweimal ist aus. Und Zögern ist Verlieren. Auf los geht’s los. Ich sitze auf glühenden Kohlen. Tiere! , schreien sie. Tiere! Ich denke nach. Pferd! , sagt die eine. Affe! , die andere. Und es geht hin und her. Kuh! , ruft die Erste. Tiger! , schreit die Zweite, weil jedes Zögern den Rhythmus zerstört und das Spiel beendet. Pony! Känguru! Maus! Löwe! Giraffe! Ein Mädchen druckst herum. JAK!, schreie ich.
Ich senkte den Blick auf das Blatt mit meinen Fragen. Was musste geschehen, fragte ich mich, damit ein Buch, das ich vor sechzig Jahren geschrieben hatte, jetzt in meinen Briefkasten gelangte, und das in einer anderen Sprache?
Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. Er kam mir auf Jiddisch, ich tue mein Bestes, ihn hier wiederzugeben, etwa so: KÖNNTE ICH BERÜHMT SEIN, OHNE ES ZU WISSEN? Mir wurde schwindlig. Ich kippte ein Glas kaltes Wasser und nahm ein Aspirin. Sei kein Narr, sagte ich mir. Und doch.
Ich schnappte mir meinen Mantel. Die ersten Regentropfen prasselten ans Fenster, also zog ich die Galoschen an. Bruno nennt sie Überschuhe. Soll er. Draußen ein heulender Wind. Ich kämpfte mich durch die Straßen, in verbissenem Streit mit meinem Regenschirm. Dreimal schnappte er über. Ich hielt mich an ihm fest. Einmal schleuderte er mich an eine Hauswand. Zweimal hob ich ab.
Den peitschenden Regen im Gesicht, gelangte ich zur Bücherei. Das Wasser troff mir von der Nase. Mein Regenschirm, das Mistvieh, war zerfetzt, also entsorgte ich ihn im Ständer. Ich ging zum Tisch der Bibliothekarin. Hoppel-Halt-und-Keuch, Hosenbeine hoch, Schritt, Schlurf, Schritt, Schlurf und so fort. Ihr Stuhl war leer. Ich rannte, in Anführungszeichen, durch den Lesesaal. Schließlich fand ich jemanden. Die Frau sortierte Bücher ein. Ich konnte mich kaum bremsen.
Ich möchte alles, was Sie von dem Schriftsteller Leo Gursky haben! , rief ich.
Sie drehte sich um und sah mich an. So auch alle anderen.
Verzeihung?
Alles, was Sie von dem Schriftsteller Leo Gursky haben! , wiederholte ich.
Ich bin hier eben noch beschäftigt. Da müssen Sie sich einen Augenblick gedulden.
Ich geduldete mich einen Augenblick.
Leo Gursky , sagte ich. G-U-R .
Sie schob ihren Wagen weiter. Ich weiß, wie sich das schreibt.
Ich folgte ihr zum Computer. Sie tippte meinen Namen ein. Mein Herz raste. Ich mag alt sein. Aber: Mein Herz kriegt immer noch einen hoch.
Da ist ein Buch über Stierkampf von einem Leonard Gursky , sagte sie.
Nicht der, sagte ich. Was ist mit
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