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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Leopold?
    Leopold, Leopold, sagte sie. Da haben wir’s.
    Ich hielt mich am nächstbesten stabilen Gegenstand fest. Trommelwirbel bitte:
    Die unglaublichen, phantastischen Abenteuer des zahnlosen Wundermädchens Frankie , sagte sie grinsend. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, ihr eins mit den Galoschen überzuziehen. Schon war sie auf dem Weg zur Kinderbuchabteilung. Ich hielt sie nicht auf. Stattdessen starb ich kleine Tode. Sie wies mir mit dem Buch einen Platz zu. Viel Spaß , sagte sie.
    Bruno hat einmal gesagt, wenn ich mir eine braune Taube kaufte, würde sie sich auf halbem Weg in eine weiße verwandeln, im Bus nach Hause in einen Papagei, und sobald ich in meiner Wohnung den Käfig aufmachte, käme ein Phönix heraus. Das bist du , sagte er und wischte ein paar imaginäre Krümel vom Tisch. Ein paar Minuten vergingen. Nein, das bin ich nicht, sagte ich. Er sah achselzuckend aus dem Fenster. Wer hat schon je von einem Phönix gehört? , sagte ich. Ein Pfau vielleicht. Aber ein Phönix, das glaube ich nicht. Sein Gesicht war abgewandt, und doch meinte ich zu sehen, dass sich sein Mund zu einem Lächeln verzog.
    Aber jetzt konnte ich nichts tun, um aus dem Nichts, das die Bibliothekarin gefunden hatte, etwas zu machen.
    In den Tagen nach meinem Herzinfarkt, bevor ich wieder zu schreiben begann, konnte ich nur noch ans Sterben denken. Ich war wieder einmal davongekommen, und erst als die Gefahr vorüber war, erlaubte ich meinen Gedanken, sich bis zum unvermeidlichen Ende zu entspinnen. Ich stellte mir die ganzen Möglichkeiten vor abzutreten. Gehirnschlag. Infarkt. Thrombose. Lungenentzündung. Grand-Mal-Anfall mit Verschluss der Vena cava. Ich sah mich mit Schaum vor dem Mund zuckend am Boden liegen. Nachts wachte ich auf und griff mir an die Kehle. Und doch. Egal, wie oft ich mir das mögliche Versagen meiner eigenen Organe vorstellte, die Schlussfolgerung fand ich unvorstellbar: dass es mir passieren könnte. Ich zwang mich, mir meine letzten Momente auszumalen. Den vorletzten Atemzug. Einen letzten Seufzer. Und doch. Es kam immer einer nach.
    Ich erinnere mich, wie mir zum ersten Mal bewusst wurde, was Sterben ist. Da war ich neun. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters, er ruhe in Frieden, war im Schlaf gestorben. Es gab keine Erklärung dafür. Ein Hüne, der wie ein Scheunendrescher aß und bei klirrender Kälte hinausging, um mit bloßen Händen Eisblöcke zu brechen. Einfach tot, hinüber. Er hatte mich Leopo genannt. Das sprach er so aus: Lei-o-po. Hinter dem Rücken meiner Tante steckte er mir und meinen Cousins Zuckerstangen zu. Er konnte Stalin imitieren, dass man vor Lachen platzte.
    Meine Tante fand ihn morgens, da war er schon steif. Drei Männer wurden gebraucht, um ihn zur chewra kaddischa zu tragen. Mein Bruder und ich schlichen uns hin, um den mächtigen Berg zu sehen. Im Tod erschien uns der Körper noch eindrucksvoller als im Leben – der buschige Wald auf seinen Handrücken, die platten gelblichen Nägel, die dicke Hornhaut unter seinen Fußsohlen. Er wirkte so menschlich. Und doch. Auch grauenhaft unmenschlich. Einmal kam ich, um meinem Vater ein Glas Tee zu bringen. Er saß bei dem Leichnam, der nicht eine Minute allein gelassen werden durfte. Ich muss aufs Klo , sagte er mir. Warte hier, bis ich zurück bin. Ehe ich einwenden konnte, ich hätte doch noch nicht einmal meine Bar-Mizwa hinter mir, rannte er hinaus, um sich zu erleichtern. Die nächsten Minuten schlichen wie Stunden dahin. Mein Onkel lag aufgebahrt auf einer Steinplatte von der Farbe rohen, mit weißen Adern durchzogenen Fleisches. Einmal glaubte ich, seine Brust sich leicht heben zu sehen, und hätte fast losgeschrien. Aber: Ich fürchtete mich nicht nur vor ihm. Ich fürchtete um mich selbst. In diesem kalten Raum spürte ich meinen eigenen Tod. In der Ecke war ein Waschbecken mit rissigen Kacheln. All die abgeschnittenen Nägel, Haare und der den Toten abgewaschene Dreck waren dieses Abflussrohr hinuntergegangen. Der Hahn leckte, und mit jedem Tropfen Wasser fühlte ich mein Leben schwinden. Eines Tages wäre es endgültig dahin. Die Freude zu leben überkam mich mit solcher Macht, dass ich hätte schreien mögen. Ich war nie ein frommes Kind gewesen. Aber: Plötzlich empfand ich das Bedürfnis, Gott zu bitten, er möge mich so lange wie möglich verschonen. Als mein Vater wiederkam, fand er seinen Sohn kniend am Boden, die Augen fest geschlossen und die Knöchel weiß gepresst.
    Von da an plagte mich die Angst, ich

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