Die Geschichte der Liebe (German Edition)
brauste mir in den Ohren. Ich warf einen letzten Blick auf den leeren Raum. Dann eilte ich den gleichen Weg hinaus, den ich gekommen war.
Ich tat es nie wieder. Ich hatte es mir selbst bewiesen, und das war genug. Gelegentlich komme ich am Eingang eines gewissen Privatclubs – ich will keine Namen nennen – vorbei, und dann denke ich mir, Schalom, Scheißkerle, hier ist ein Jude, den ihr nicht ausschließen könnt. Aber nach besagter Nacht habe ich mein Glück nie mehr versucht. Wenn ich im Gefängnis landete, fänden sie die Wahrheit heraus: Ich bin kein Houdini. Und doch. In meiner Einsamkeit tröstet es mich zu denken, dass mir die Türen der Welt, wenn sie auch geschlossen sind, nie ganz verschlossen bleiben.
Dies war der Trost, den ich mir dafür suchte, dass ich im strömenden Regen draußen vor der Bücherei stand, während Fremde vorbeieilten. War nicht schließlich das der wahre Grund, warum mein Cousin mich das Geschäft gelehrt hatte? Er wusste, ich konnte nicht ewig unsichtbar bleiben. Zeig mir einen Juden, der überlebt , hatte er einmal gesagt, als ich zusah, wie ein Schloss unter seinen Händen nachgab, und ich zeige dir einen Zauberer.
Ich stand auf der Straße und ließ mir den Regen in den Nacken tropfen. Ich kniff die Augen zusammen. Tür um Tür um Tür um Tür um Tür um Tür um Tür sprang auf.
Nach der Bücherei, nach diesem Nichts von einem zahnlosen Wundermädchen Frankie, ging ich nach Hause. Ich zog meinen Mantel aus und hängte ihn zum Trocknen an den Haken. Setzte den Wasserkessel auf. Hinter mir räusperte sich jemand. Mich hätte fast der Schlag getroffen. Aber es war nur Bruno, der im Dunkeln saß. Was machst du da, willst du, dass ich einen Anfall bekomme? , japste ich, während ich das Licht anmachte. Die Seiten des Buches, das ich geschrieben hatte, als ich ein Junge war, lagen verstreut am Boden. O nein , sagte ich. Das ist doch nicht dein –
Er gab mir keine Chance.
Nicht schlecht , sagte er. Nicht, wie ich sie beschrieben hätte. Aber was soll ich sagen, das ist deine Sache.
Schau , sagte ich.
Du musst mir nichts erklären , sagte er. Es ist ein gutes Buch. Ich mag den Stil. Abgesehen von den Kinkerlitzchen, die du gestohlen hast – sehr einfallsreich. Und rein literarisch gesprochen –
Ich brauchte einen Moment. Dann wurde mir der Unterschied bewusst. Er sprach Jiddisch mit mir.
– rein literarisch gesprochen, was kann man daran nicht mögen? Egal, ich habe mich immer gefragt, an was du arbeitest. Jetzt weiß ich es endlich, nach all den Jahren.
Und ich habe mich gefragt, was du wohl schreiben magst , sagte ich in Erinnerung an früher, ein Lebensalter zurück, als wir beide zwanzig waren und Schriftsteller werden wollten.
Er zuckte die Achseln, wie nur Bruno es kann. Das Gleiche wie du.
Das Gleiche?
Natürlich das Gleiche.
Ein Buch über sie?
Ein Buch über sie , sagte Bruno. Er schaute weg, aus dem Fenster. Dann sah ich, dass er das Foto auf dem Schoß hielt, das von ihr und mir vor dem Baum, von dem sie nicht wusste, dass ich unsere Initialen hineingeritzt hatte. A + L. Kaum zu sehen. Aber: Sie sind da.
Er sagte: Sie war gut im Geheimhalten.
Da fiel es mir wieder ein. Jener Tag vor sechzig Jahren, als ich in Tränen aufgelöst aus ihrem Haus gekommen war und ihn hatte warten sehen, mit einem Notizbuch in der Hand an einen Baum gelehnt, um zu ihr zu gehen, nachdem ich weg war. Noch ein paar Monate zuvor waren wir engste Freunde gewesen. Mit ein paar anderen Jungen hatten wir halbe Nächte durchgemacht, geraucht und über Bücher geredet. Und doch. Als ich ihn an jenem Nachmittag da stehen sah, waren wir keine Freunde mehr. Wir sprachen nicht einmal mehr miteinander. Ich ging einfach an ihm vorbei, als wäre er nicht da.
Nur eine Frage , sagte Bruno jetzt, sechzig Jahre nachher. Was ich immer wissen wollte.
Was?
Er hustete. Dann blickte er zu mir auf. Hat sie dir gesagt, du könntest besser schreiben als ich?
Nein , log ich. Und dann sagte ich ihm die Wahrheit. Das brauchte mir niemand zu sagen.
Es folgte ein langes Schweigen.
Seltsam. Ich habe immer gedacht – Er unterbrach sich.
Was? , sagte ich.
Ich dachte, wir kämpften um etwas mehr als um ihre Liebe , sagte er.
Jetzt war ich es, der aus dem Fenster schaute.
Was ist mehr als ihre Liebe? , fragte ich.
Schweigen.
Ich habe gelogen, sagte Bruno. Ich habe noch eine Frage.
Welche?
Warum stehst du Narr immer noch hier herum?
Was meinst du damit?
Dein Buch , sagte er.
Was ist
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