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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Es wurde dunkel, die Lichter wurden ausgeknipst, und er war immer noch nicht da. Am nächsten Tag ging ich wieder hin und wartete, und wieder kam er nicht. In dieser Nacht stellte ich mir das Schlimmste vor. Ich konnte nicht schlafen vor lauter Schrecklichkeiten, von denen ich mir ausmalte, sie könnten meinem Kind passiert sein. Obwohl ich mir geschworen hatte, nie und nimmer würde ich es tun, stand ich am nächsten Tag früh auf und ging dorthin, wo er wohnte. Nicht hin. Ich blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Ich hielt Ausschau nach ihm oder nach Alma, ja sogar nach diesem schlemihl , ihrem Ehemann. Und doch. Niemand erschien. Schließlich hielt ich einen Jungen an, der aus dem Haus kam. Kennst du die Moritz? Er starrte mich an. Ja. Und wennschon? , sagte er. Wohnen sie noch hier? , fragte ich. Was geht Sie das an? , sagte er und wollte, einen Gummiball springen lassend, die Straße hinunter. Ich packte ihn am Kragen. Ein ängstlicher Blick stand in seinen Augen. Sie sind nach Long Island gezogen , platzte er heraus und rannte weg.
    Eine Woche später kam ein Brief von Alma. Sie hatte meine Adresse, weil ich ihr einmal im Jahr, zu ihrem Geburtstag, eine Karte schicke. Herzlichen Glückwunsch , schreibe ich, von Leo . Ich riss den Brief auf. Ich weiß, dass du ihn beobachtest. Frag mich nicht woher, aber ich weiß es. Ich warte immer noch auf den Tag, an dem er nach der Wahrheit fragen wird. Manchmal, wenn ich ihm in die Augen sehe, sehe ich dich. Und ich glaube, du bist der Einzige, der seine Fragen beantworten könnte. Ich höre deine Stimme, als stündest du neben mir.
    Ich las den Brief wer weiß wie oft. Aber darum geht es nicht. Entscheidend war, dass sie links oben in die Ecke des Umschlags den Absender geschrieben hatte: 121 Atlantic Avenue, Long Beach, NY.
    Ich holte meine Karte heraus und prägte mir den Weg ein. Oft phantasierte ich von Katastrophen, Überschwemmungen, Erdbeben, einer Welt im Chaos, von allem, was mir einen Grund geben würde, hinzufahren und ihn unter meinem Mantel zu bergen. Als ich die Hoffnung auf mildernde Umstände aufgegeben hatte, begann ich davon zu träumen, dass der Zufall uns zusammenbrächte. Ich rechnete mir alle Möglichkeiten aus, wie sich unsere Lebenswege unerwartet kreuzen könnten – indem ich etwa in einem Zugabteil plötzlich neben ihm saß oder im Wartezimmer einer Arztpraxis. Aber am Ende wusste ich, dass es an mir lag. Als erst Alma starb und zwei Jahre später Mordecai, stand mir nichts mehr im Weg. Und doch.
    Zwei Stunden später lief der Zug in den Bahnhof ein. Ich fragte den Menschen am Fahrkartenschalter, wie ich ein Taxi bekäme. Lange war ich nicht mehr aus der Stadt hinausgekommen. Ich stand da und staunte, wie grün alles war.
    Wir fuhren eine ganze Weile. Bogen von der Hauptstraße in eine kleinere, dann in eine noch kleinere Straße ab. Schließlich ging es über einen holprigen Waldweg irgendwo im Nirgendwo. Schwer vorstellbar, dass ein Sohn von mir an einem solchen Ort gelebt hatte. Angenommen, er hätte plötzlich Lust auf eine Pizza gehabt, wo wäre er hingegangen? Angenommen, es hätte ihn gejuckt, allein in einem dunklen Kinosaal zu sitzen oder am Union Square ein paar Jugendliche beim Küssen zu beobachten?
    Ein weißes Haus kam in Sicht. Ein leichter Wind jagte die Wolken. Zwischen den Ästen sah ich einen See. So oft hatte ich mir sein Haus vorgestellt. Aber nie mit einem See. Ein schmerzliches Versäumnis.
    Sie können mich hier rauslassen , sagte ich, bevor wir die Lichtung erreichten. Ich rechnete halbwegs damit, dass jemand zu Hause wäre. Meines Wissens hatte Isaac allein gelebt. Aber man weiß ja nie. Das Taxi hielt. Ich bezahlte und stieg aus, und es fuhr den Weg im Rückwärtsgang zurück. Ich dachte mir eine Geschichte von einer Autopanne aus, dass ich ein Telefon bräuchte, holte tief Luft und schlug meinen Kragen gegen den Regen hoch.
    Ich klopfte. Dann sah ich die Klingel, also klingelte ich. Ich wusste, dass er tot war, aber etwas in mir hoffte noch immer. Ich stellte mir sein Gesicht vor, wenn er die Tür aufmachte. Was hätte ich ihm zu sagen, meinem einzigen Kind? Verzeih mir, deine Mutter hat mich nicht so geliebt, wie ich geliebt werden wollte; und vielleicht habe auch ich sie nicht so geliebt, wie sie es gebraucht hätte? Und doch. Keine Antwort. Ich wartete nur, um sicherzugehen. Als niemand kam, lief ich außen herum nach hinten. Auf der Wiese stand ein Baum, der mich an jenen erinnerte, in den ich einst unsere

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