Die Geschichte der Liebe (German Edition)
Initialen geritzt hatte, A + L, und sie hat es nicht erfahren, genau wie ich fünf Jahre lang nicht erfahren hatte, dass die Summe unseres Zusammenseins ein Kind ergeben hatte.
Das Gras war glitschig vor Matsch. Ein Stück entfernt sah ich ein Ruderboot an einem Steg vertäut. Ich blickte hinaus über das Wasser. Muss ein guter Schwimmer gewesen sein, ganz nach dem Vater geschlagen, dachte ich stolz. Mein eigener Vater, der große Hochachtung vor der Natur besaß, hatte uns kurz nach der Geburt in den Fluss geworfen, ehe, wie er meinte, unsere Verbindung zu den Amphibien ganz abgerissen wäre. Meine Schwester Hanna hielt ihr Lispeln für eine Folge dieser traumatischen Erinnerung. Ich denke mir gern, ich hätte es anders gemacht. Ich hätte ihm gesagt: Es war einmal vor langer Zeit, da warst du ein Fisch. – Ein Fisch? , hätte er gefragt. Genau, wie ich dir sage, ein Fisch. – Woher weißt du das? – Weil ich auch ein Fisch gewesen bin. – Du auch? – Sicher. Vor langer Zeit. – Wie lange? – Lange. Egal, als du ein Fisch warst, konntest du schwimmen. – Konnte ich? – Sicher. Du warst ein großartiger Schwimmer. Ein Spitzenschwimmer warst du. Du liebtest das Wasser. – Warum? – Was meinst du mit warum? – Warum ich das Wasser liebte? – Weil es dein Leben war! Und während wir so redeten, hätte ich ihn, einen Finger nach dem anderen, allmählich losgelassen, bis er, ohne es zu merken, allein geschwommen wäre.
Und dann dachte ich: Vielleicht bedeutet es das, Vater zu sein – sein Kind zu lehren, ohne einen zu leben. Wenn ja, war niemand je ein besserer Vater als ich.
Es gab eine Hintertür, die nur ein Schloss hatte, ein einfaches Stiftschloss im Gegensatz zu dem Doppelschloss vorn. Ich klopfte ein letztes Mal, und als keine Antwort kam, machte ich mich an die Arbeit. Ich brauchte eine Minute, bis ich es aufbekam. Ich drehte den Knauf und drückte. Reglos stand ich in der Türöffnung. Hallo? , rief ich. Schweigen. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Ich trat ein und machte die Tür hinter mir zu. Es roch nach Holzfeuer.
Dies ist Isaacs Haus, sagte ich mir. Ich zog meinen Regenmantel aus und hängte ihn an einen Haken, neben einen anderen. Er war aus braunem Tweed, mit braunem Seidenfutter. Ich nahm einen Ärmel und hielt ihn mir an die Wange. Ich dachte: Dies ist sein Mantel. Ich hielt ihn mir unter die Nase und atmete ein. Ein Hauch von Eau de Cologne. Ich nahm ihn herunter und probierte ihn an. Die Ärmel waren zu lang. Aber: egal. Ich krempelte sie hoch. Ich zog meine matschverschmierten Schuhe aus. Da stand ein Paar Laufschuhe mit hochgebogener Spitze. Ich schlüpfte hinein wie ein alter Mr.-Rogers-Fan. Sie waren mindestens Größe 44, wenn nicht 45. Mein Vater hatte kleine Füße, und bei der Hochzeit meiner Schwester mit einem Jungen aus dem Nachbardorf hatte er das ganze Wochenende damit zugebracht, bedauernd auf die großen Füße seines neuen Schwiegersohns zu starren. Ich kann mir nur vorstellen, wie schockiert er gewesen wäre, wenn er die seines Enkels gesehen hätte.
So also betrat ich meines Sohnes Haus: in seinen Mantel gehüllt, seine Schuhe an den Füßen. Ich war ihm so nahe wie nie zuvor. Und ebenso fern.
Ich klapperte den schmalen Flur entlang, der zur Küche führte. Stand mitten im Raum und wartete auf die Polizeisirenen, die nicht kamen.
In der Spüle lag ein schmutziger Teller. Ein umgedrehtes Glas, das zum Trocknen stehen geblieben war, ein hart gewordener Teebeutel auf einer Untertasse. Auf dem Küchentisch etwas verstreutes Salz. Eine Postkarte klebte am Fenster. Ich nahm sie ab und drehte sie um. Lieber Isaac , stand da, ich schicke dies aus Spanien, wo ich einen Monat verbracht habe. Ich möchte dir nur sagen, dass ich dein Buch nicht gelesen habe und nicht lesen werde.
Hinter mir tat es einen Schlag. Ich griff mir an die Brust. Ich glaubte, ich würde mich umdrehen und Isaacs Geist sehen. Aber es war nur die Tür, der Wind hatte sie aufgeweht. Mit zitternden Händen tat ich die Postkarte wieder dorthin, woher ich sie genommen hatte, stand in der Stille und hörte mein Herz pochen.
Die Dielen knackten unter meinem Gewicht. Überall waren Bücher. Stifte und eine blaue Glasvase, ein Aschenbecher aus dem Dolder Grand Hotel in Zürich, der verrostete Pfeil einer Wetterfahne, eine kleine Sanduhr aus Messing, Sanddollars auf dem Fensterbrett, ein Fernglas, eine leere Weinflasche, die als Kerzenständer diente, mit Wachsnasen am Hals. Ich berührte dies und
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