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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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erhielt ihn tatsächlich am folgenden Tag durch einen Lakaien ohne Livree, der höchst geschickt für eine Gelegenheit zu sorgen wusste, ohne Zeugen mit ihr zu sprechen. Sie sagte ihm, er solle ihre Antwort abwarten, und kam sogleich mit dem Brief zu mir. Wir öffneten ihn gemeinsam.
    Über die Gemeinplätze der Verliebtheit hinaus enthielt er eine Aufzählung der Versprechungen meines Rivalen. Er gestand ihr grenzenlose Ausgaben zu. Er verpflichtete sich, ihr bei Übergabe des Palais zehntausend Franc auszuzahlen und jede Verringerung dieser Summe dergestalt auszugleichen, dass sie diese immer in barem Geld zur Verfügung habe. Der Tag der Einweihung wurde nicht lange hinausgeschoben: Er bitte sie nur um zwei Tage für die Vorbereitungen, und er nannte ihr den Namen der Straße und des Palais, wo er sie am Nachmittag des zweiten Tages zu erwarten versprach, wenn sie sich meinen Händen entwinden könne. Das war der einzige Punkt, in dem er sie beschwor, ihm seine Unruhe zu nehmen; in allem Übrigen schien er sich seiner Sache sicher, doch er setzte hinzu, er werde, wenn sie Schwierigkeiten befürchte, mir zu entrinnen, ein Mittel finden, ihr die Flucht zu erleichtern.
    G… M… war gewitzter als sein Vater; er wollte seine Beute in Händen halten, ehe er sein Geld hinzählte. Wir überlegten, wie Manon sich verhalten sollte. Ich mühte mich nochmals, sie von diesem Vorhaben abzubringen, und führte ihr alle Gefahren vor Augen. Nichts konnte sie von ihrem Entschluss abbringen.
    Sie schrieb eine kurze Antwort an G… M…, um ihm zu versichern, dass es ihr keine Schwierigkeit bereiten werde, sich am vorgesehenen Tag in Paris einzufinden, und dass er sie mit Gewissheit erwarten könne. Dann beschlossen wir, dass ich unverzüglich aufbrechen sollte, um in irgendeinem Dorf am anderen Ende von Paris eine neue Wohnung anzumieten; unseren kleinen Hausrat würde ich mitnehmen; am Nachmittag des folgenden Tages, dem Zeitpunkt ihres Stelldicheins, würde sie sich rechtzeitig nach Paris begeben; nachdem sie die Geschenke von G… M… in Empfang genommen hätte, würde sie ihn inständig bitten, sie zur Comédie zu fahren; sie sollte alles an Geld, was sie zu tragen vermochte, mit sich nehmen und den Rest meinem Diener übergeben, den sie bei sich behalten wollte. Es war derselbe, der sie aus dem Hôpital befreit hatte und der uns noch immer grenzenlos zugetan war. Ich sollte mich mit einer Droschke am Ende der Rue Saint-André-des-Arcs 20 einfinden und diese dort gegen sieben Uhr zurücklassen, um mich in der Dunkelheit zum Eingang der Comédie zu begeben. Manon versprach mir, einen Vorwand zu erfinden, um ihre Loge einen Moment lang zu verlassen, und diesen zu nutzen, um zu mir herauszukommen. Das Übrige war leicht auszuführen. Wir würden im Nu zu meiner Droschke gelangen und Paris über den Faubourg Saint-Antoine verlassen, der auf dem Weg zu unserer neuen Bleibe lag.
    Dieser Plan, so unerhört er war, schien uns recht gut überlegt. Doch barg er im Grunde eine wahnwitzige Unbedachtheit, nämlich die Annahme, wir könnten uns, selbst wenn er auf das Glücklichste gelänge, jemals vor den Folgen schützen. Wir ließen uns indes voll kühnster Zuversicht darauf ein. Manon brach in Begleitung von Marcel auf: So hieß nämlich unser Diener. Ich ließ sie nur ungern fortgehen. Ich umarmte sie und sagte: «Manon, betrügen Sie mich nicht; werden Sie mir treu sein?» Sie beschwerte sich liebevoll ob meines Misstrauens und erneuerte all ihre Schwüre.
    Sie wollte um drei Uhr in Paris eintreffen. Ich brach nach ihr auf. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich trübselig im Café de Féré beim Pont Saint-Michel; dort blieb ich bis zum Abend. Dann machte ich mich auf, um eine Droschke zu nehmen, die ich, wie verabredet, am Ende der Rue Saint-André-des-Arcs halten ließ; schließlich ging ich zu Fuß zum Eingang der Comédie.
    Ich war überrascht Marcel, der dort auf mich warten sollte, nicht anzutreffen. Umgeben von zahllosen Lakaien und offenen Auges für alle Passanten übte ich mich eine Stunde lang in Geduld.
    Als es sieben Uhr schlug, ohne dass etwas eingetreten wäre, was unseren Plänen entsprochen hätte, erstand ich schließlich ein Eintrittsbillet für das Parterre, um zu sehen, ob ich nicht Manon und G… M… in einer der Logen zu entdecken vermochte. Weder sie noch er waren dort. Ich kehrte zum Eingang zurück, wo ich noch eine Viertelstunde zubrachte, fassungslos vor Ungeduld und Unruhe.
    Als wieder nichts geschah,

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