Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
aufbrechen solle.
Ich war so erschüttert von seinen Ausführungen, dass er eine Stunde lang hätte sprechen können, ohne dass ich auf den Gedanken gekommen wäre, ihn zu unterbrechen. Er sagte des Weiteren, er habe mich im Châtelet nicht besucht, da er mir umso leichter von Nutzen sein könne, solange man glaube, er habe keine Verbindung zu mir; und die wenigen Stunden über, die ich in Freiheit sei, habe er zu seinem Leidwesen nicht gewusst, wo ich Zuflucht gesucht hätte; er habe mich alsbald sehen wollen, um mir einen Rat zu geben, von dem allein ich mir, so scheine es, erhoffen könne, das Los Manons umzuwenden, doch sei es ein gefährlicher Rat, und er ersuche mich, auf ewig geheim zu halten, dass er damit zu tun habe: Nämlich einige tapfere Männer auszuwählen, die den Mut hätten, die Bewacher Manons anzugreifen, sobald sie Paris mit ihr verlassen hätten.
Ich kam nicht einmal dazu, von meiner Geldnot zu sprechen. «Hier sind hundert Pistolen», sagte er und hielt mir einen Geldbeutel hin, «die Ihnen etwa von Nutzen sein können. Sie geben sie mir zurück, wenn das Geschick Ihre Angelegenheiten wieder ins Lot gebracht hat.» Er setzte hinzu, wenn sein Ruf, auf den er zu achten habe, es ihm erlauben würde, selber die Befreiung meiner Geliebten ins Werk zu setzen, dann hätte er mir Faust und Degen dazu angeboten.
Diese ungeheure Großherzigkeit rührte mich zu Tränen. Um ihm meine Dankbarkeit zu bekunden, wandte ich die ganze Rührigkeit auf, die mir mein Elend noch gelassen hatte. Ich fragte ihn, ob durch Fürsprache beim Generalleutnant der Polizei nicht doch noch etwas zu erhoffen sei. Er sagte, daran habe er auch schon gedacht, doch halte er diese Maßnahme für nutzlos, denn um eine Gunst dieser Art könne man nicht ohne gute Gründe ersuchen, und er sehe nicht recht, welchen Grund man vorbringen könne, um sich eine so gewichtige und mächtige Persönlichkeit zum Fürsprecher zu machen; sollte überhaupt etwas von dieser Seite zu erhoffen sein, dann nur, wenn man Monsieur de G… M… und meinen Vater veranlasse, ihre Meinung zu ändern, und sie dazu gewönne, dass sie ihrerseits an den Herrn Generalleutnant der Polizei die Bitte richteten, seinen Urteilsspruch aufzuheben. Er bot mir noch an, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den jungen G… M… zu gewinnen, wenngleich er glaube, dieser verhalte sich ihm gegenüber ein wenig kühl aufgrund eines gewissen Argwohns gegen ihn, den er wegen unserer Angelegenheit gefasst habe, und er mahnte mich, meinerseits nichts unversucht zu lassen, meines Vaters Sinn zu erweichen.
Das war nun für mich keine leichte Unternehmung, und ich sage dies nicht nur wegen des Widerstandes, auf den ich naturgemäß stoßen musste, wollte ich ihn umstimmen, sondern aus einem anderen Grund, der mich seine Nähe sogar fürchten ließ: Ich hatte mich gegen seine Anordnung aus seinem Logis davongestohlen, und ich war fest entschlossen, nicht mehr dorthin zurückzukehren, seit ich von dem traurigen Schicksal Manons erfahren hatte. Ich argwöhnte nicht ohne Grund, dass er mich gegen meinen Willen festhalten lassen und ebenso in die Provinz verbringen werde, war mein älterer Bruder damals doch auf dieselbe Weise vorgegangen. Zwar war ich inzwischen älter geworden, doch gegen Gewalt ist auch das Alter ein schwaches Argument. Immerhin fand ich einen Weg, der mich dieser Gefahr enthob; der Plan war, meinen Vater an einen öffentlichen Ort bitten und mich ihm unter einem anderen Namen melden zu lassen. Ich entschied mich sogleich für dieses Vorgehen.
Monsieur de T… begab sich zu G… M…, und ich ging zum Jardin du Luxembourg, von wo ich meinem Vater ausrichten ließ, dass ein ihm ergebener Edelmann ihn dort erwarte. Ich fürchtete, er werde Mühe haben zu kommen, denn es dämmerte bereits. Gleichwohl erschien er wenig später, gefolgt von seinem Lakaien. Ich bat ihn, mit mir eine Allee entlangzugehen, in der wir allein sein konnten. Wir taten wenigstens hundert Schritte, ohne zu sprechen. Zweifellos malte er sich aus, dass solche Vorbereitungen nicht ohne eine bedeutsame Absicht getroffen worden waren. Er wartete darauf, was ich ihm vorzutragen hatte, und ich erwog es gründlich.
Schließlich tat ich den Mund auf. «Monsieur», sagte ich bebend zu ihm, «Sie sind ein guter Vater. Sie haben mich mit Ihrer Gunst überhäuft, und Sie haben mir eine unendliche Anzahl von Verfehlungen verziehen. Deshalb hege ich für Sie, der Himmel ist mein Zeuge, alle Empfindungen eines
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