Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
vierhundert Schritt vor uns, und wir konnten ihnen den Weg abschneiden, wenn wir quer über einen kleinen Acker ritten, um den der breite Weg einen Bogen machte. Der Leibgardist schlug vor, auf diese Art vorzugehen, um uns dann unversehens auf sie zu stürzen. Ich pflichtete ihm bei und gab meinem Pferd als Erster die Sporen.
Doch das Schicksal hatte kein Erbarmen, und meine Bitten blieben unerhört. Als die Begleitwachen fünf Berittene auf sich zusprengen sahen, erkannten sie sogleich, dass sie angegriffen werden sollten. Sie formierten ihre Abwehr, indem sie mit allen Zeichen der Entschlossenheit ihre Bajonette aufsteckten und ihre Gewehre in Anschlag brachten. Dieser Anblick, der uns, das heißt, den Leibgardisten und mich, nur anspornte, raubte unseren drei feigen Kumpanen schlagartig allen Mut. Sie blieben wie auf Verabredung stehen, und nachdem sie einige Worte gewechselt hatten, die ich nicht verstand, wandten sie ihre Pferde um und machten sich mit verhängtem Zügel zurück auf den Weg nach Paris.
«Gott im Himmel», sagte der Leibgardist, der ob dieses schnöden Verrats offenbar ebenso außer sich war wie ich, «was sollen wir tun? Wir sind nur noch zu zweit.» Ich hatte vor Wut und Fassungslosigkeit die Stimme verloren. Ich brachte mein Pferd zum Stehen, unschlüssig, ob meine Rache nicht zu allererst der Verfolgung und Bestrafung der Feiglinge gelten solle, die mich im Stich gelassen hatten. Abwechselnd sah ich den Fliehenden nach und zu den Begleitwachen hinüber. Wenn ich mich hätte zweiteilen können, wäre ich gleichzeitig auf diese beiden Ziele meines Zorns losgegangen; ich verschlang sie sämtlich mit meinen Augen.
Der Leibgardist, der aus meinem irrenden Blick auf meine Unentschiedenheit schloss, beschwor mich, auf seinen Rat zu hören. «Da wir nur zu zweit sind», so sagte er, «wäre es Wahnwitz, sechs Mann anzugreifen, die ebenso gut bewaffnet sind wie wir und uns offensichtlich zu allem entschlossen erwarten. Wir sollten nach Paris zurückkehren und versuchen, bei der Auswahl unserer Kerle mit glücklicherer Hand vorzugehen. Die Bewacher können mit den beiden schweren Wagen keine großen Tagesreisen zurücklegen; wir holen sie morgen mühelos wieder ein.»
Ich dachte einen Augenblick lang über diese Möglichkeit nach, doch da ich allenthalben nur Anlass zur Verzweiflung sah, fasste ich einen wahrhaft verzweifelten Entschluss, nämlich meinem Gefährten für seine Dienste zu danken, und statt die Begleitwachen anzugreifen, wollte ich sie ergebenst darum bitten, dass ich mich ihrem Trupp anschließen dürfe, um Manon im Verein mit ihnen nach Havre-de-Grâce zu geleiten und sodann mit ihr nach Übersee zu gehen.
«Ich werde von allen verfolgt oder verraten», sagte ich zu dem Leibgardisten. «Ich kann niemandem mehr trauen. Ich erwarte nichts mehr, weder vom Schicksal noch von menschlichem Beistand. Meine Missgeschicke übersteigen jedes Maß, mir bleibt nichts, als mich ihnen zu ergeben. Und so verschließe ich meine Augen jeder Hoffnung. Möge der Himmel ihm für seine Großmut danken! Adieu, ich werde meinem bösen Geschick helfen, mein Verderben zu vollenden, indem ich aus freien Stücken selbst hineinlaufe.»
Vergebens mühte er sich, mich zur Rückkehr nach Paris zu bewegen. Ich bat ihn, mich meine Entschlüsse ausführen zu lassen und sich umgehend von mir zu entfernen, denn ich befürchtete, die Begleitwachen könnten weiterhin glauben, wir wollten sie angreifen.
Ich ging allein auf sie zu, mit langsamen Schritten und so bekümmerter Miene, dass ihnen mein Nahen nicht bedrohlich erscheinen konnte. Sie verharrten dennoch in ihrer Abwehrhaltung. «Seien Sie unbesorgt, meine Herren», richtete ich das Wort an sie, «nicht Krieg bringe ich, Vergünstigungen möchte ich von Ihnen erwirken.» Ich bat sie, ihren Weg ohne Misstrauen fortzusetzen, und als wir uns wieder in Marsch setzten, erklärte ich ihnen, um welchen Gefallen ich sie bitten wollte.
Sie beratschlagten, wie sie auf dieses Ansinnen eingehen sollten. Der Truppführer sprach dann für alle. Er antwortete mir, die Befehle, die sie zur Bewachung ihrer Gefangenen erhalten hätten, seien äußerst strikt; ich schiene ihm indes ein so angenehmer Mensch, dass er und seine Kameraden ihre Pflicht etwas lockerer handhaben wollten; ich solle allerdings Verständnis dafür haben, dass mich das etwas kosten müsse.
Ich hatte noch etwa fünfzehn Pistolen; ich sagte ihnen rundheraus, was ich noch in meinem Beutel hatte. «Nun denn»,
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