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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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diese Furcht meine schlimmsten Schicksalsschläge heraufbeschworen wurden, denn sie hinderte mich daran, die Denkungsart meines Vaters auf die Probe zu stellen und mich zu bemühen, ihn für meine unglückliche Geliebte einzunehmen. Ich hätte vielleicht ein weiteres Mal sein Mitleid erregen können. Ich hätte ihn wappnen können gegen die Vorstellungen, die der alte G… M… nur allzu leicht bei ihm erwecken mochte. Was weiß ich? Mein böses Geschick hätte vielleicht über all meine Bemühungen triumphiert, doch dann hätte ich mein Unglück zumindest nur diesem und der Grausamkeit meiner Feinde zuzuschreiben.
    Mein Vater brach auf, um Monsieur de G… M… einen Besuch abzustatten. Er traf ihn in Gegenwart seines Sohnes an, dem der Leibgardist getreulich die Freiheit wiedergegeben hatte. Ich habe niemals die Einzelheiten ihres Gesprächs erfahren, doch konnte ich sie aufgrund der fatalen Folgen nur allzu leicht erschließen. Sie, nämlich die beiden Väter, suchten gemeinsam den Generalleutnant der Polizei auf, den sie um zwei Gefallen baten: zum einen, mich auf der Stelle aus dem Châtelet zu entlassen; zum anderen, Manon für der Rest ihrer Tage wegzusperren oder sie nach Amerika zu schicken. Man begann nämlich damals, Vogelfreie scharenweise an den Mississippi zu verschiffen. Der Generalleutnant der Polizei gab ihnen sein Wort, Manon mit dem ersten Schiff fortzuschaffen.
    Monsieur de G… M… und mein Vater kamen alsbald, um mir gemeinsam die Nachricht von meiner Freilassung zu überbringen. Monsieur de G… M… sagte mir etwas Förmliches über das Vergangene, und nachdem er mir zu dem Glück gratuliert hatte, einen solchen Vater zu haben, gab er mir den Rat, mich künftig an dessen Belehrungen und dessen Beispiel zu halten. Mein Vater befahl mir, ihn wegen des vorgeblichen Affronts, den ich seiner Familie angetan hätte, um Verzeihung zu bitten und ihm dafür zu danken, dass er sich zusammen mit ihm selbst für meine Freilassung eingesetzt habe.
    Wir gingen gemeinsam hinaus, ohne ein Wort über meine Geliebte gesagt zu haben. Ich wagte nicht einmal, in Anwesenheit der beiden mit den Wärtern über sie zu sprechen. Ach! Meine traurige Fürsprache wäre ganz unnütz gewesen! Der grausame Befehl war zugleich mit dem zu meiner Entlassung ergangen. Das unglückliche Mädchen wurde eine Stunde später ins Hôpital gebracht, wo sie mit einigen beklagenswerten Frauen zusammengelegt wurde, die zu demselben Geschick verurteilt waren.
    Da mein Vater darauf bestanden hatte, dass ich ihm zu dem Haus folgte, wo er Quartier genommen hatte, war es nahezu sechs Uhr abends, ehe ich Gelegenheit fand, mich seiner Aufsicht zu entziehen, um zum Châtelet zurückzukehren. Ich hatte lediglich die Absicht, Manon einige Stärkungen zukommen zu lassen und sie dem Schließer anzuempfehlen, denn ich rechnete nicht damit, dass man mir gestatten werde, sie zu sehen. Ich hatte auch noch nicht die Zeit gefunden, über Mittel zu ihrer Befreiung nachzudenken.
    Ich verlangte, mit dem Schließer zu sprechen. Diesen hatten meine Freigebigkeit und meine Freundlichkeit so zufrieden gestimmt, dass er recht willig war, mir zu Diensten sein, und mir daher vom Schicksal Manons als von einem Unglück sprach, das er sehr beklage, denn es könne mich betrüben. Ich begriff nicht, was er damit sagen wollte. Wir wechselten einige Worte, ohne einander zu verstehen. Als er schließlich merkte, dass ich einer Erklärung bedurfte, gab er mir die, von der ich Ihnen bereits mit dem Entsetzen berichtet habe, das mich auch jetzt noch hindert, sie zu wiederholen.
    Kein noch so heftiger Schlagfluss hat je eine derart jähe und fürchterliche Wirkung gezeitigt. Ich stürzte mit so schmerzhaftem Herzrasen zu Boden, dass ich in dem Moment, da ich das Bewusstsein verlor, glaubte, ich sei meines Lebens für immer ledig. Es verblieb mir immer noch etwas von diesem Gedanken, als ich wieder zu mir kam. Ich wandte meinen Blick in alle Winkel der Kammer und auf mich selbst, um mich zu vergewissern, ob ich noch die unselige Eigenschaft aufweise, am Leben zu sein. Da es ja nur eine natürliche Regung ist, sich seiner Schmerzen entledigen zu wollen, konnte mir in diesem Moment der Trostlosigkeit und Erschütterung nichts süßer erscheinen als der Tod. Selbst die Religion konnte mir jenseits des Lebens nichts Unerträglicheres in Aussicht stellen als die grausamen Krämpfe, die mich marterten. Durch ein Wunder jedoch, wie es der Liebe zu eigen ist, fand ich alsbald wieder

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