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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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verloren haben. Ich gebe ihnen die Liste der Agenturen, aber ihre Suche ist oft erfolglos. Die Einrichtung wurde geschlossen, bevor es Computer gab, und viele der Akten sind unvollständig. Manche Familien haben damals nur die Vornamen oder einen falschen Namen angegeben. Einige Insassen hatten überhaupt keinen Namen.«
    Sam sah Homan an und fragte nach: »Sie hatten keine Namen?«
    »Niemand wusste, wer sie sind. Sie sind irgendwie in dieser Schule gelandet, und wenn sie keine Papiere bei sich hatten oder nicht sprechen konnten, hatten sie keine Identität.«
    Homan wollte wissen: Wie hat man sie in diesen Akten bezeichnet?
    »Man gab ihnen Nummern – fortlaufende Nummern. John Doe Nummer Eins, John Doe Nummer Zwei und so weiter.«
    Homan schaute aus dem Fenster auf den großen Ahornbaum. Das schöne Mädchen hatte seinen Namenauch nicht gekannt. Er erinnerte sich, dass sie ihm mit einer Geste ihren Namen zu übermitteln versucht hatte. Es war bestimmt keine Nummer.
    Ein Eichhörnchen rannte über einen Ast, und Homan begriff plötzlich, dass er diesen Baum kannte. Das alte Büro-Cottage war durch dieses neue Gebäude ersetzt worden, und genau an dieser Stelle hatte der Rotschopf sein Büro gehabt. Hier hatte das schöne Mädchen gesessen und gezeichnet.
    Er drehte sich um. Mrs. Raja stand auf. »Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun«, sagte sie.
    Es tut uns leid , gestikulierte Jean, als Homan den Motor startete und ihr einen Blick zuwarf.
    Er fuhr vom Parkplatz. Solange er das Steuer in den Händen hielt, hatte er wenigstens etwas unter Kontrolle. Er hätte sich in den Hintern treten können. Du wusstest von vornherein, dass nichts dabei herauskommt , warf er sich vor. Wieso musst du sie überhaupt suchen? Damit sie dich akzeptiert, wie du heute bist? Das tut Sam auch. Genau wie Jean, King und Queen und all die neuen Freunde. Genügt das nicht? Plagt dich das schlechte Gewissen so sehr, dass du keinen Frieden mit der Vergangenheit machen kannst?
    Sam tippte mit dem Stock an Homans Arm.
    Wir sind gerade an der Zufahrt zum Highway vorbeigefahren .
    Homan schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf die Straße. Natürlich – er hatte die Kreuzung verpasst. Diese Straße führte durch die Berge. Er schaute nach rechts, dann nach links – nur Verkaufsstände und Restaurantketten, kein Baum und kein Strauch. Das ist die Welt von heute. Alles geht zu Ende, ob man will oder nicht. Die Natur hier draußen – weg. Der Knast – weg. Sogar eine Liebe, die einen Mann schwindlig und romantisch macht, die ihm Hoffnung und eine nie gekannte Freude schenkt, die ihm Mutmacht, das Unmögliche zu vollbringen – selbst eine solche Liebe endet. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Und man kann nichts dagegen tun.
    Jean schlug auf das Lenkrad.
    Ich weiß, du fühlst dich schlecht, aber wir müssen umkehren.
    Du hast recht , signalisierte Homan mit einer Hand.
    Er musste sich zusammennehmen und nach einer Stelle suchen, an der er umdrehen konnte. Aber im Augenblick waren sie auf einer Brücke, und er hatte nicht vor, auf der Straße zu wenden. So was machten Filmhelden – und er war kein Held. Er war nur ein Mann, der liebte. Ein Mann, dem ein schönes Mädchen das Gefühl von Erhabenheit verlieh, so dass mehr aus ihm geworden war, als er je für möglich gehalten hatte. Ein Mann, der – ja – jede Menge Akzeptanz und Respekt von Freunden und Arbeitgebern erfuhr, sich aber dennoch nie wieder so geschätzt gefühlt hatte.
    Nach der Brücke verengte sich die Straße auf zwei Fahrspuren mit Farmen und Wäldern auf beiden Seiten. Homan setzte den Blinker, als er eine Ausweichstelle entdeckte. Beim Näherkommen sah er das Schild – »Riverside Pfadfinderlager« –, und etwas regte sich in seinem Inneren.
    Hierher war er in jener Nacht geflohen. Hier war er vom Steg gesprungen, um den Fluss zu durchqueren.
    Er war auf der Straße. Derselben Straße.
    Bevor Sam und Jean reagieren konnten, gestikulierte er: Ich weiß, wo wir sind. Ich muss mir noch etwas ansehen. Er schaltete den Blinker aus und gab Gas.
    Ja, es war lächerlich, mit fünfzig, sechzig Meilen an altmodischen Autos, Farmen und Wäldern vorbeizufahren. Hier würde er sie nicht finden, zudem konnte er sich kaum vorstellen, dass die alte Lady noch am Leben war. Und die Kleine lebte ganz bestimmt nicht mehr im Farmhaus.
    Doch er musste hinfahren. Die Suche wäre nicht komplett, wenn er es nicht täte.
    Er erreichte die Kreuzung sehr viel schneller als in jener

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